© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

„Italien wird in Afrika bis auf die Haut ausgezogen“
Mussolinis Armee in Not: Vor achtzig Jahren wurde mit Hitlers Weisung das deutsche Engagement in Nordafrika eingeleitet
Thomas Schäfer

Als das Königreich Italien am 10. Juni 1940 an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg eintrat, schien die „Arbeitsteilung“ klar: Der Raum rund um das Mittelmeer einschließlich Nordafrikas sowie auch der Osten des Schwarzen Kontinents sollten das alleinige Operationsgebiet der Streitkräfte des faschistischen Staates sein. Doch der militärische Koloß Italien, der unter anderem über 250.000 Mann in Libyen sowie 350.000 Mann in Eritrea, Äthiopien und Somaliland verfügte, stand auf tönernen Füßen. Weder gelang ihm ein Sieg über das schwache Griechenland, noch führte die am 13. September 1940 begonnene Offensive der zahlenmäßig weit überlegenen 10. Armee unter Mario Berti gegen die britischen Besatzungstruppen in Ägypten zum Erfolg. 

Der von Mussolini persönlich befohlene Angriff der 150.000 italienischen Soldaten mit ihren 500 Panzern stockte bereits am 18. September nach nur 230 Kilometern Geländegewinn aufgrund von Nachschubproblemen bei der nordwestägyptischen Kleinstadt Sidi Barrani. Damit rückten der geplante Vorstoß in Richtung des strategisch extrem wichtigen Suezkanals sowie die Herstellung einer Landverbindung nach Italienisch-Ostafrika in weite Ferne. Und dann gingen die Briten am 9. Dezember 1940 auch noch zum Gegenangriff in der Cyrenaika über: Im Rahmen der „Operation Compass“ drangen 36.000 britische, indische und australische Wüstenkämpfer unter dem Oberbefehl des Commanders-in-Chief Middle East General Archibald Wavell nach Westen vor und fügten den Italienern eine Niederlage nach der anderen zu; am 10. Dezember fiel Sidi Barrani, am 17. Dezember Sollum und am 5. Januar 1941 dann auch Bardia. Dadurch gerieten etwa 80.000 Angehörige der 10. Armee in Gefangenschaft.

Von der prekären Situation seines Bündnispartners auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz wußte Hitler spätestens seit dem 3. November 1940. An diesem Tage hatte der von einer Erkundungsreise aus Libyen zurückgekehrte Generalmajor Wilhelm Ritter von Thoma Vortrag im Führerhauptquartier gehalten und dabei auch die Entsendung eines deutschen Panzerverbandes erörtert. Diese wurde von Hitler freilich zunächst abgelehnt – genau wie auch von seiten des immer noch eitel auftrumpfenden Duce. Doch das permanente italienische Versagen während der Kämpfe in der Cyrenaika nahm kein Ende, weswegen Reichspropagandaminister Joseph Goebbels schließlich besorgt in seinem Tagebuch notierte: „Italien wird in Afrika bis auf die Haut ausgezogen. Das ist demaskierend und vernichtet auf die Dauer das Prestige des ganzen Faschismus.“ Dazu kam, daß ein Sieg der Briten in Nordafrika zu einer wesentlichen Stärkung ihrer Position im Mittelmeerraum geführt hätte, was wiederum die Gefahr eines deutlich größeren Engagements des Empire auf dem Balkan barg. Und das war das letzte, was Hitler angesichts seiner eigenen Feldzugspläne im Osten zu riskieren gedachte.

Deshalb blieb ihm schließlich keine andere Wahl, als der am 19. Dezember 1940 im Namen Mussolinis vorgetragenen dringenden Bitte des italienischen Oberkommandos um eine baldige Entsendung deutscher Panzer in Richtung Tripolis zu entsprechen. Diesen Entschluß faßte Hitler am 9. Januar 1941, nachdem die Stärke der italienischen Heeresgruppe in Libyen infolge des Falls von Bardia auf fünf Divisionen in der Cyrenaika und fünf weitere in Tripolitanien im Nordwesten Libyens geschrumpft war. Die offizielle Weisung trug die Nummer 22 und den Titel „Mithilfe deutscher Kräfte bei den Kämpfen im Mittelmeerraum“. Sie datierte auf den 11. Januar und besagte, daß Tripolitanien „aus strategischen, politischen und psychologischen Gründen … behauptet“ werden müsse und deshalb durch den Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, „ein Sperrverband aufzustellen“ sei, „der geeignet ist, unseren Verbündeten bei der Verteidigung von Tripolitanien insbesondere gegen die englischen Pz. Divisionen wertvolle Dienste zu leisten.“ Dessen Überführung nach Nordafrika, so Hitler weiter, solle „etwa ab 20.2.“ erfolgen. 

Damit läutete er praktisch das Ende der autonomen italienischen Parallelkriegführung im Mittelmeerraum ein. Über diese folgenschwere Entscheidung informierte er den angesichts seiner anhaltenden Mißerfolge nun sichtlich zurückhaltenderen Mussolini im Januar 1941 während eines persönlichen Treffens auf dem Obersalzberg. Mit der Führerweisung Nummer 22 schlug die Geburtsstunde des Deutschen Afrikakorps (DAK), welche offiziell auf den 21. Februar 1941 fiel, nachdem am 16. Februar zunächst der Stab des Befehlshabers der deutschen Truppen in Libyen gebildet worden war. Den Oberbefehl über das DAK erhielt Generalleutnant Erwin Rommel, welcher sich im Verlaufe des Westfeldzuges als Kommandeur der 7. Panzer-Division ausgezeichnet hatte.

Während die Vorbereitungen für die Verschiffung von Truppen und Material des DAK nach Tripolis liefen, gelangen den Briten zwei weitere Paukenschläge: Am 22. Januar 1941 eroberte deren XIII. Korps auch noch den strategisch wichtigen Hafen beziehungsweise die Festung von Tobruk und rückte anschließend bis zum 6. Februar über Derna in die Hauptstadt der Cyrenaika Benghasi vor, womit nun wiederum um die 60.000 Italiener in Kriegsgefangenschaft gerieten.

Rommel mißachtete Befehl des italienischen Generals

Rommels große Gegenoffensive begann am 30. März 1941 und führte das DAK über Agedabia, Benghasi und Bardia bis vor Tobruk und nach Sollum jenseits der ägyptisch-libyschen Grenze. Dort kam sie dann Mitte April wegen fehlenden Nachschubs zum Stehen, woraufhin sich ein Stellungskrieg entwickelte. Der enorm schnelle Vorstoß der deutschen Panzerverbände war weder von Rommels nominellem Vorgesetzten, dem libyschen Generalgouverneur Generale d‘armata Italo Gariboldi, noch von Hitler gebilligt worden. Vielmehr hatte letzterer bereits am 3. April befohlen, erst einmal „die erreichten Stellungen zu sichern.“

Deshalb wurde die günstige strategische Position, in der sich das DAK nun befand, auch nicht zu einem baldigen weiteren Vorstoß nach Ägypten hinein genutzt. Laut Hitlers Vorstellungen sollte die nächste Offensive Rommels frühestens im Spätherbst 1941 oder gar Winter 1941/42 anlaufen. So steht es im Entwurf seiner Weisung Nummer 32 „Vorbereitungen für die Zeit nach Barbarossa“ vom 11. Juni 1941: Die „Fortführung des deutsch-italienischen Angriffes gegen den Suez-Kanal“ wollte Hitler erst nach dem erhofften Sieg über die Sowjetunion genehmigen. Davon kam er dann später zwar wieder ab – aber da war die Lage in Nordafrika bereits eine deutlich andere als im Frühjahr 1941.