© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Kosmetik, die viel kostet
Arbeitslosenstatistik: Fördermaßnahmen von Jobcenter und Arbeitsagentur verschleiern die tatsächliche Zahl der Erwerbslosen
Ronald Berthold

Wie seriös ist es um die Arbeitslosenstatistik bestellt? Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten René Springer zeigt, daß Jobcenter und Arbeitsagenturen Erwerbslose in den vergangenen Jahren in immer größerer Anzahl in den zweiten Arbeitsmarkt vermitteln. Das bringt beiden Seiten große Vorteile: Der Staat kann sich mit niedriger Erwerbslosigkeit schmücken. Und die sogenannten Träger, meist Betriebe der Sozialindustrie, erhalten hohe öffentliche Gelder. Diese Win-Win-Situation kennt aber einen Verlierer: den Steuer- und Abgabenzahler. 

Kritik an „lebhaftem Maßnahmentourismus“

Die Zahl der Menschen, die der Staat in solche Maßnahmen steckte, stieg von 2012 bis 2019 explosionsartig um 844 Prozent. Die davon im vorvergangenen Jahr betroffenen 380.271 Menschen gelten nicht mehr als arbeitslos – sie verschwinden aus der Statistik. Einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gehen sie jedoch nicht nach.

Dieses Vorgehen löst Zweifel an der Glaubwürdigkeit auch der aktuellen Zahlen aus. Seit Februar 2020, dem letzten Monat vor dem ersten Lockdown, stieg die Arbeitslosigkeit in Deutschland offiziell von 2,396 Millionen auf 2,707 Millionen im Dezember – ein Plus von 311.000 Menschen. Hier kaschieren staatliche Maßnahmen das tatsächliche Ausmaß. Denn 666.000 Personen befanden sich Ende des vergangenen Jahres in sogenannter „konjunktureller Kurzarbeit“ – die meisten davon sind freigestellt.

Aber genau dieser Umstand weckt den Verdacht auf einen Etikettenschwindel. Denn die Mehrheit der Jobs, die durch die Corona-Maßnahmen bedroht sind, verschwindet nicht sofort. Vielmehr drängen die Arbeitsämter, der Statistik zuliebe, Arbeitgeber auch dann dazu, Kurzarbeit für die Angestellten anzumelden, wenn diese die Stellen komplett abbauen wollen. Daß die Erwerbslosigkeit dennoch seit Februar um 13 Prozent stieg, könnte daran liegen, daß zahlreiche Träger in der Sozialindustrie seit Corona weniger Personen in ihre Maßnahmen nehmen konnten.

2012 hatten die Behörden laut Antwort der Bundesregierung, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, lediglich 45.012 Menschen in solche Tätigkeiten gesteckt. Damals gab die Bundesagentur für Arbeit die Zahl der Arbeitslosen mit einem Jahresdurchschnitt von 2,9 Millionen an. Sieben Jahre später lag sie bei 2,27 Millionen – ein Rückgang um 21,7 Prozent. Zieht man nun aber die 335.259 Menschen ab, die der Staat 2019 mehr in „Maßnahmen bei einem Träger“ beschäftigte als 2012, reduziert sich der Erfolg am Arbeitsmarkt deutlich. Dann hätte Deutschland im vorvergangenen Jahr tatsächlich 2,61 Millionen Arbeitslose zu vermelden gehabt. Der Rückgang zum Vergleichsjahr 2012 läge in der Statistik nur noch bei 290.000, und die Quote wäre lediglich um zehn Prozent gesunken.

Das seinerzeitige, vor den Corona-Maßnahmen hochgelobte deutsche Jobwunder relativiert sich damit deutlich, was allerdings nicht an den Arbeitgebern liegt. Die Zahl der offenen Stellen war 2019 enorm hoch; viele konnten nicht besetzt werden. Das Problem befindet sich woanders: Es leben offenbar trotz der vor der Krise großen Fachkräfte-Nachfrage der Unternehmen zunehmend mehr Menschen in Deutschland, die auch während eines Wirtschaftsaufschwungs nicht in eine für die Gesellschaft Mehrwert erzeugende Arbeit zu integrieren sind. In den von René Springer abgefragten Zeitraum fällt die 2015 beginnende Masseneinwanderung meist nicht oder nur schlecht ausgebildeter Menschen.

Während die Zahl der von der Bundesagentur für Arbeit ausgegebenen sogenannten „Vermittlungs- und Aktivierungsgutscheine“ für Maßnahmen bei Trägern rekordverdächtig gestiegen war, ging die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt stark zurück: Die Jobcenter vermittelten 2019 gerade einmal 32.764 Menschen in nichtgeförderte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen. 2012 waren es noch 2,7 Mal so viele.

Springer, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, kritisiert die Bundesregierung scharf: „Anstatt sich auf die Vermittlung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu konzentrieren, setzen die Jobcenter auf einen lebhaften Maßnahmentourismus“, sagte er der jungen freiheit. Dadurch sehe zwar „die Arbeitslosenstatistik besser aus“. Eine Fördermaßnahme ersetze aber noch lange keine Erwerbstätigkeit.

Private Arbeitsvermittler an den Rand gedrängt

Bestätigt wird die mutmaßlich kosmetische Aufbesserung der Erwerbslosenzahlen durch eine Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit zu Langzeitarbeitslosen. Die Behörde registriert für diese Personengruppe einen deutlichen Rückgang von Vermittlungen der Jobcenter in den ersten Arbeitsmarkt. Hatte die Quote 2011 noch bei 2,5 Prozent gelegen, lag sie 2019 bei weniger als der Hälfte. Auch bei den Langzeitarbeitslosen entwickelt sich im Vergleich dazu die Zahl bei den Maßnahmeteilnahmen gegenläufig: Sie stieg von 19 auf 24 Prozent.

Springer: „Zielführender wäre es, stärker auf das Instrument der Vermittlungsgutscheine für private Arbeitsvermittler zu setzen und diese attraktiver auszugestalten.“ Genau hier liegt ein wunder Punkt der Arbeitsmarktpolitik. Denn die privaten Vermittler fühlen sich an den Rand gedrängt.

Die durch den AfD-Politiker bei der Bundesregierung recherchierten Zahlen belegen das: Die ausgegebenen Gutscheine für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch private Personaldienstleister sank im Zeitraum 2012 bis 2019 von rund 253.000 auf 68.000. Das entspricht einem Rückgang von 72,9 Prozent und demonstriert im Vergleich zur astronomischen Steigerung bei den Vermittlungen in Träger-Maßnahmen die tatsächliche Bilanz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).