© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Gefahr gebannt
Bundestag: Nach den Ereignissen am Kapitol debattieren die Parteien über die Sicherheit des deutschen Parlaments
Christian Vollradt

Daß die Ausläufer des Sturms am Potomac auch an der Spree spürbar sein würden, war zu erwarten. Nach den Tumulten vor dem und im Kapitol in Washington vergangene Woche mit insgesamt fünf Todesopfern zeigte sich auch die Berliner Politik erschüttert bis besorgt und äußerte ihren Abscheu. Einhellig verurteilten Mandatsträger aller Bundestagsparteien die Angriffe auf demokratische Institutionen der amerikanischen Hauptstadt. Zudem stand stets die Frage im Raum: Sind vergleichbare Vorgänge hierzulande vorstellbar? Und wenn ja, wie stünde es um die Sicherheit – und von wem drohte Gefahr?

Letzteres war schnell beantwortet: Von den „Feinden der Demokratie“, deren Angriffe es abzuwehren gelte, sprach SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Und Linkspartei-Chefin Katja Kipping konkretisierte das: Es gebe auch „in unserem Land einen rechten gewalttätigen Mob auf der Straße, der längst seinen Weg in unsere Parlamente gefunden hat“. Jede Rede von AfD-Abgeordneten „atmet diesen Geist des antidemokratischen Hasses“.  

„Mißbraucht für parteipolitische Zwecke“

Unterlegt wurden ähnliche Warnungen dann meist mit der Erinnerung an den „Sturm auf die Reichstagstreppe“ (JF 37/20) oder vereinzelte Pöbeleien im Bundestag am Rande der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz am 18. November vergangenen Jahres (JF 49/20). Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) legte noch eine Schippe drauf und warnte vor der Gefahr, daß sich aus dem Umfeld der AfD heraus „in Deutschland ein Corona-Mob oder eine Art Corona-RAF bilden könnte, die zunehmend aggressiver und sogar gewalttätig werden könnte“, sagte Söder der Welt. Auch in Deutschland seien daher „die Sicherheitsmaßnahmen für die demokratischen Institutionen“ zu verbessern. 

Für die AfD ist mit solchen Gleichsetzungen eine rote Linie überschritten. Der Sturm auf das Kapitol sei „ein gewaltsamer Angriff auf die höchsten demokratischen Institutionen der USA, den die AfD als demokratische Rechtsstaatspartei aufs schärfste verurteilt“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla sowie der beiden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland und Alice Weidel. „Gewalt kann und darf in einer freiheitlichen Demokratie niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein – weder in den USA noch bei uns.“ Wer indes „die Unruhen in Washington mit jenen Demonstrationen gleichsetzt, die es zuletzt vor dem Reichstagsgebäude in Berlin gegeben hat, und unserer Partei Sympathien für diese Ereignisse unterstellt, mißbraucht die anarchistischen Ereignisse für parteipolitische Zwecke in Deutschland“, stellen die Partei- und Fraktionschefs klar. Weitgehend Einigkeit besteht unterdessen in der Frage der Sicherheitsvorkehrungen am Sitz des deutschen Parlaments. In einem Brief an sämtliche Abgeordneten teilte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mit, er habe „das Auswärtige Amt um einen Bericht zu den Umständen der Ereignisse in Washington gebeten“ und kündigte an, im Austausch mit dem Bund und dem Land Berlin klären zu lassen, „welche Schlüsse daraus für die Maßnahmen zur Sicherung des Deutschen Bundestages zu ziehen sind“. Die Berliner Landespolizei habe „eine Verstärkung ihrer Kräfte im Umfeld des Reichstagsgebäudes bereits veranlaßt“, so Schäuble. Zudem solle das Thema mit den Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen abgestimmt werden. 

Diese Funktion hat für die AfD deren Parlamentarischer Geschäftsführer Enrico Komning inne. Man begrüße „selbstverständlich jede Maßnahme, die geeignet und erforderlich ist, um den ungestörten Parlamentsbetrieb zu gewährleisten“, und er persönlich habe „volles Vertrauen in die Sicherheitsorgane des Bundestages und auch die Berliner Polizei“, sagte Komning der JUNGEN FREIHEIT. Dies hätten sie „in der Vergangenheit bei den zumeist links-motivierten Störaktionen eindrücklich bewiesen“. Komning betonte, die freie Tätigkeit der Vertreter des Souveräns sei „grundlegende Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie, vor allem in Zeiten, in denen sich die Regierung immer mehr der demokratischen Kontrolle zu entziehen versucht“. Er sehe derzei kein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis des Bundestages. „Ich werde daher besonders darauf drängen, daß eine vermeintlich bestehende, besondere Gefährdungslage detailliert dargelegt wird“, kündigte der Jurist an. „Eine Parallele zu den Vorkommnissen in Washington sehe ich nicht.“ Den erhobenen Zeigefinger in Richtung AfD bezeichnete Komning als „infam“.

Relativ gelassen zeigte sich auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP). Er verwies auf Panzerglas und die Möglichkeit, zentral auf Knopfdruck alle Eingänge zu verriegeln. Wie so ein buchstäblicher Lockdown konkret aussehen kann, davon konnte man am 18. November im Bundestag eine Vorahnung bekommen. Während der Demonstration gegen die Reform des Infektionsschutzgesetzes waren alle Gebäude dicht (JF 49/20). Eine Zeitlang kam niemand hinein und niemand hinaus. Beamte der Bundestagspolizei in ungewöhnlich martialisch wirkender Montur bewachten die verschlossenen Türen. An mancher Pforte meldeten sich irritierte Abgeordnete, die nicht in ihr Büro kamen; Journalisten wiederum blieb zeitweise der Weg zurück in ihre Redaktion versperrt.

AfD-Politiker Komning verweist zudem darauf, daß die Krawalle in Washington „von Kräften initiiert wurden, die die Abwahl ihres Präsidenten nicht akzeptieren wollten“. Das drohe hierzulande nicht. Denn, bemerkt er augenzwinkernd, „wenn die Koalition von Frau Merkel im Herbst die verdiente Quittung für ihre verfehlte Politik bekommen wird, steht nicht zu erwarten, daß sich die Antifa dagegen mit Gewalt wehren wird“.