© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Schweres Fahrwasser
Nach dem Sturm auf das Kapitol: US-Demokraten wollen die Amtsenthebung Donald Trumps auch noch nach dessen Abgang am 20. Januar durchsetzen
Thorsten Brückner

Für die siegreiche Partei bei den Kongreßwahlen ist der Januar danach in der Regel ein Monat des Aufbruchs. Ein Monat, in dem der neue Kongreß seine Arbeit aufnimmt und eine neue Agenda vorantreibt. Die Vorhaben des neuen Präsidenten Joe Biden sind sehr ambitioniert. Ein weiteres Corona-Ausgabenpaket will der frühere Vizepräsident bereits Ende Januar unterschriftsreif auf seinem Schreibtisch haben. Darüber hinaus planen die Demokraten eine Erhöhung des Mindestlohns, Änderungen beim Einwanderungsrecht, Verschärfungen des Waffenrechts, ein Infrastrukturpaket sowie eine sogenannte „Public Option“ bei der Gesundheitsversicherung Obamacare – ein Schritt, von dem sich die Demokraten den Übergang in ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem versprechen.

Doch anstatt sich auf diese selbstgesteckten Ziele zu konzentrieren, arbeiten sich die Demokraten in diesen Januartagen immer noch an der Trump-Präsidentschaft ab. Hintergrund ist Trumps Rede vom 6. Januar, in der dieser seine Wahlbetrugs-Vorwürfe wiederholte, seine Anhänger dazu aufforderte, vor dem Sitz des Kongresses zu protestieren, allerdings, anders als von Kritikern behauptet, weder zu Gewalt noch Umsturz aufgerufen hat.

Nach dem gescheiterten Versuch von Haussprecherin Nancy Pelosi, Vizepräsident Mike Pence über eine Resolution des Repräsentantenhauses zu zwingen, Trump über den 25. Verfassungszusatz für unzurechnungsfähig zu erklären und abzusetzen, hat die demokratische Hausmehrheit einen erneuten Amtsenthebungsprozeß gegen Trump eingeleitet. Dabei begeben sich Pelosi und der baldige neue Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, auf verfassungsrechtlich umstrittenes Terrain.

Der scheidende Mehrheitsführer, Mitch McConnell, hat bereits klargestellt, daß der Senat sich mit der Frage einer Amtsenthebung nicht mehr vor dem 20. Januar beschäftigen wird – dem Tag, an dem Donald Trump das Weiße Haus verläßt. Somit läge der Ball beim neuen Senat. 67 Stimmen wären für eine Amtsenthebung nötig. Nach einem erfolgreichen Votum aus Demokraten-Sicht würde dann eine einfache Mehrheit genügen, um Trump auf Lebenszeit die Ausübung öffentlicher Ämter zu untersagen.

Doch selbst linksliberale Verfassungsexperten machen Einwände geltend, ob ein Präsident auch noch nach seinem Ausscheiden des Amtes enthoben werden kann. Darunter ist Harvard-Professor Cass Sunstein, ein ehemaliger Mitarbeiter der Obama-Administration. „Ich glaube, daß das nur auf gegenwärtige Amtsinhaber anwendbar ist“, sagt er. Sein Kollege Michael Gerhardt von der University of North Carolina hält einen Senatsprozeß dagegen für zulässig, solange das Repräsentantenhaus noch während Trumps Amtszeit für ein Impeachment votiert.

Es gibt einen Präzedenzfall für eine Amtsenthebung

Trump könnte zwar gegen einen solchen Schritt klagen, allerdings gewährt die Verfassung dem Senat volle Autorität in Sachen Amtsenthebung, was ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs unwahrscheinlich machen würde.

Für eine Amtsenthebung nach dem Ausscheiden gibt es einen historischen Präzedenzfall. 1876 votierte das Repräsentantenhaus für das Impeachment von Präsident Ulysses Grants Kriegsminister, William Belknap, obwohl dieser bereits zurückgetreten war. Gegen Belknap kam damals allerdings keine Zweidrittelmehrheit im Senat zustande.

Sollte es zu einer Senatsentscheidung kommen, ist die Chance einer nachträglichen Amtsenthebung deutlich höher als beim ersten Versuch der Demokraten vor einem Jahr. Damals stimmte nur ein republikanischer Senator, Mitt Romney, dafür. Diesmal haben bereits die Senatoren Ben Sasse und Pat Toomey angekündigt, daß sie einen solchen Schritt erwägen werden. Weitere Senatoren wie Lisa Murkowski, Marco Rubio oder Tom Cotton könnten sich ebenfalls gegen Trump stellen.

Doch was bedeutet der Fokus auf das Amtsenthebungsverfahren für Bidens Agenda? Diese Sorge treibt auch einige Demokraten um. Kurt Schrader, Abgeordneter aus Oregon, brachte in einem durchgestochenen Telefonat zum Ausdruck, er wolle „kein Leben in den Leichnam dieses Präsidenten hauchen“ und ihn so „zum Märtyrer machen“. Sein Parteifreund James Clyburn deutete an, Nancy Pelosi könnte 100 Tage damit warten, das Verfahren an den Senat weiterzuleiten, um so die Aufmerksamkeit zunächst auf Sachpolitik zu richten. Dafür hätten die Demokraten trotz eines Patts von je 50 Senatoren theoretisch eine knappe Mehrheit, da bei Stimmengleichheit Vizepräsidentin Kamala Harris in ihrer Rolle als Senatspräsidentin über das entscheidende Votum verfügt.

Allerdings hat bereits der moderate demokratische Senator Joe Manchin angekündigt, daß er allzu linkslastige Projekte seiner Partei im Zweifel blockieren werde. Darunter fallen für ihn eine Aufstockung des Obersten Gerichtshofs mit linksliberalen Richtern ebenso wie eine mögliche Abschaffung des Filibusters. Die Senatsregeln sehen vor, daß für die meisten Gesetzesvorlagen 60 Senatoren nötig sind, bevor darüber abgestimmt werden kann. Auch den Plänen des linken Flügels seiner Partei nach einem „Green New Deal“ erteilte der frühere Gouverneur des Kohle-Staates West Virginia eine Absage.

Bei anderen Vorhaben, etwa einer Verschärfung der Gesetze gegen „heimischen Terror“ anläßlich der Ereignisse vom 6. Januar sind die Demokraten untereinander zerstritten. Der Bürgerrechtsflügel befürchtet eine ähnliche Willkür wie sie etwa Moslems beim „Kampf gegen den islamischen Terror“ zu spüren bekamen.





Kapitolsturm

„Wir werden uns gemeinsam zum Kapitol begeben“, hatte Trump am 6. Januar vor einer sechsstelligen Zahl von Anhängern in Washington verkündet. „Um sich friedlich und patriotisch Gehör zu verschaffen.“ Am frühen Nachmittag näherten sich Hunderte Demonstranten dem Kapitol, rüttelten an den Absperrungen, legten sich mit der Polizei an und drangen nach und nach von allen Seiten in das Gebäude ein. Die anwesenden Repräsentanten und Senatoren waren gezwungen, den Prozeß zur Bestätigung der Wahl Joe Bidens zu unterbrechen, sie wurden aus dem Gebäude evakuiert. Die Randalierer besetzten Büros, einige griffen zur Kamera und filmten sich. Ein Polizist wurde attackiert und erlag später seinen Verletzungen, eine Trump-Anhängerin wurde erschossen. Drei weitere starben an „medizinischen Notfällen“ am Rande der Demonstration, wie es von offzieller Seite hieß. Die Behörden verhafteten im Anschluß zahlreiche Randalierer. Dazu gab der Chef der Kapitolpolizei, Steven A. Sund, seinen Rücktritt bekannt, nachdem Kritik laut wurde, seine Behörde sei schlecht vorbereitet gewesen und habe zu spät reagiert. Bidens Amtseinführung am 20. Januar sollen nun rund 15.000 Nationalgardisten schützen. (ha)