© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

„Ich will mehr haben als die gesamte Linke zusammen“
Präsidentschaftswahl: In Portugal haben sechs Herausforderer wenig Chancen, Amtsinhaber Marcelo Rebelo de Sousa abzulösen
Wolfgang Bendel

Portugal mit seinen 10,3 Millionen Einwohnern zählt nicht zu den Corona-Hotspots: Mit 485.000 positiv getesteten und 7.800 Covid-19-Todesfällen ist das ärmste westliche EU-Mitglied (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 20.660 Euro; Deutschland: 41.340) vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen. Das benachbarte Spanien hat gemessen an der Einwohnerzahl anderthalbmal so viele Corona-Tode registriert.

Für die Urlauberinsel Madeira im Atlantik gibt es bislang sogar noch keine Reisewarnung, obwohl auch hier die Corona-Fallzahlen erheblich gestiegen sind. Bis mindestens 15. Januar gilt im übrigen Portugal hingegen ein verschärfter Lockdown – gestaffelt nach vier Risikostufen. Dennoch soll am 24. Januar die Direktwahl des Staatspräsidenten stattfinden. Um das höchste Amt bewerben sich in dem kleinen Land mit seiner großen und wechselvollen Geschichte insgesamt zwei Frauen und fünf Männer.

Amtsinhaber Marcelo Rebelo de Sousa hat – trotz der wirtschaftlichen Verwerfungen der Corona-Krise – laut Meinungsumfragen gute Chancen, schon im ersten Wahlgang bestätigt zu werden. Der 72jährige Verfassungsrechtler ist Kandidat der Sozialdemokratischen Partei (PSD), die trotz ihres Namens der Mitte zuzuordnen ist. Im EU-Parlament ist die PSD Teil der EVP-Fraktion von CDU oder ÖVP. Seine wohl stärkste Herausforderin ist die 66jährige Ex-Diplomatin Ana Gomes von der regierenden Sozialistischen Partei (PS). PS-Generalsekretär António Costa führt seit 2015 eine Minderheitsregierung.

Gomes ist allerdings nicht die Wunschkandidatin ihrer Partei. Hintergrund sind Zerwürfnisse mit dem Premier Costa, die teilweise ins Persönliche gehen. Zuletzt verglich Gomes in einem Streit um die Besetzung des portugiesischen Vertreters für den Posten eines Europäischen Staatsanwalts Costa sogar mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán, was in sozialdemokratischen Kreisen als schwerer Vorwurf gilt. Dies veranlaßte den Premier, keine Wahlempfehlung zugunsten von Gomes auszusprechen, was ihre ohnehin geringen Chancen weiter verringert.

Nur ein rechter Kandidat gegen vier linke Bewerber

Bemerkenswert ist der Aufstieg des 37jährigen Juristen André Ventura. Seit 2001 PSD-Mitglied, zog er bei der Parlamentswahl im Oktober 2019 mit seiner Rechtspartei Chega! (Jetzt reicht’s!) erstmals als Einzelabgeordneter ins portugiesische Parlament ein. Der Einzug ins EU-Parlament gelang trotz eines Bündnisses mit zwei weiteren Rechtsparteien zwar nicht, doch seit Juli 2020 ist Chega! Mitglied der EU-Partei Identität und Demokratie, zu der die FPÖ oder die italienische Lega gehören.

In Umfragen liegt Ventura hinter Sousa und Gomes schon an dritter Stelle und damit weit vor den beiden Linksaußen-Kandidaten: dem 42jährigen João Ferreira von den Kommunisten (PCP) und der 44jährigen Feministin Marisa Matias vom rotgrünen Bloco de Esquerda (Linksblock), die bei der Präsidentschaftswahl 2016 mit 10,1 Prozent Rang drei erklomm. Das verschreckt Ventura nicht: „Ich will nicht nur vor Ana Gomes bleiben. Ich will mehr haben als die gesamte Linke zusammen. Das ist unsere Herausforderung.“ An Optimismus mangelt es also dem Lissaboner Universitätsdozenten und ehemaligen Fernsehkommentator (Sender CMTV) nicht. Diese Entwicklung ist wenig überraschend. Der Wahlsieg von Jair Bolsonaro im portugiesisch sprechenden Brasilien und der Aufstieg der Rechtspartei Vox in Spanien konnten nicht ohne Rückwirkungen auf Portugal bleiben. Der 43jährige Tiago Mayan Gonçalves von der Liberalen Initiative (IL) und der 49jährige Vitorino Silva, Ex-Sozialist und dem TV-Publikum als „Tino de Rans“ bekannt, werden keine echten Chancen eingeräumt.

Hauptsorgen der meisten Wähler sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise. Hauptleidtragender ist die in Portugal äußerst wichtige Tourismuswirtschaft. Auch der Außenhandel und die Investitionen gingen 2020 merkbar zurück. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa acht Prozent, für den EU-Süden ein vergleichsweise moderater Wert. Der Staatsschuldenstand dürfte laut Prognose der EU-Kommission auf 135 Prozent des BIP klettern und damit 18 Prozentpunkte über Vorkrisenniveau liegen.

Die zurückgehende Wirtschaftsleistung erhöhte natürlich die prozentuale Schuldenlast. Allerdings dürften diese Eckdaten letztlich dem Amtsinhaber Sousa in die Hände spielen, da die Krise nicht so dramatisch ist, um in der Wahlbevölkerung den Ruf nach einem radikalen Wandel laut werden zu lassen. Außerdem schaffte es der 72jährige Rechtsprofessor in seiner ersten Amtszeit zu einiger Popularität. Er bezeichnet sich selbst gerne „als Linken unter den Rechten“, womit er sich selbst zum „Zentrum“ erklärt.

André Ventura seinerseits kommt – neben der Thematisierung traditionell rechter Politikbereiche wie der Bekämpfung illegaler Zuwanderung, Abbau von Steuern und Bürokratie sowie EU-Skepsis – die anhaltende Schwäche der bislang größten konservativen Partei, der Volkspartei (CDS-PP) zugute. Diese hatte schon bei den Parlamentswahlen 2015 und 2019 massive Verluste erlitten – eine Konsequenz des orientierungslosen Pendelns zwischen konservativen Positionen und PSD-Mehrheitsbeschaffer.

Parteichefin Assunção Cristas, von 2011 bis 2015 Agrarministerin, wurde voriges Jahr vom 32jährigen Francisco Rodrigues dos Santos, der Winston Churchill, Ronald Reagan und Margaret Thatcher zu seinen Vorbildern zählt, abgelöst. Zur anstehenden Präsidentschaftswahl stellte die CDS-PP keinen eigenen Kandidaten mehr auf, was viele ihrer Wähler veranlassen könnte, diesmal Ventura ihre Stimme zu geben.

Portugiesisches Wahlamt:  cne.pt