© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Stereotypen über Gruppen sind nicht generell falsch
Nützliche Vorurteile
(dg)

Die wärmsten Jacken sind die Konjacken. Und die sichersten Urteile sind die Vorurteile. Wird erste Behauptung nur von Abstinenzlern bestritten, steht die zweite unter Dauerbeschuß aller Verfechter politischer Korrektheit, die von einer „Welt ohne Diskriminierung“ träumen. Für deren Verwirklichung engagiert sich auch die Berliner Philosophin und Publizistin Anna Welpinghus. Doch nach Sichtung angelsächsischer Studien zur Vorurteilsforschung ist sie immerhin bereit einzuräumen, daß „Verletzungen“ durch vorgefaßte Meinungen und Bewertungen nicht nur ungefährlicher seien, als von den Zensoren der „Cancel Culture“ suggeriert werde, sondern daß solche „Generalisierungen“ nicht grundsätzlich falsch sind (Hirn & Geist, 1/21). Diese Aussage gelte ausweislich neuerer sozialpsychologischer Untersuchungen, sogar und insbesondere für „Generalisierungen über Gruppen“.  Bei allem „Unbehagen an Stereotypen“ sei es daher realitätsfremd, sie deshalb „aus den Köpfen verbannen“ zu wollen, weil sie angeblich stets falsch seien, „wie manche glauben“. Vielmehr fallen, so läßt sich aus Welpinghus’ schüchternem Plädoyer für den gesunden Menschenverstand schlußfolgern, solche Ansichten eher in die Kategorie „Generalisierung“. Denn die „Schubladen im Kopf“ gehören zum evolutionären Erbe des Menschen, der nur dank Reaktionen schneller Unterscheidungen zwischen Freund und Feind überlebte. Daher vermitteln für Welpinghus „wahre Vorurteile“ auch in komplexen postmodernen Lebensverhältnissen nützliche Orientierung und seien unverzichtbar. Nur sollte jeder darauf achten, damit keine sozial „schädlichen Effekte“ zu produzieren. 


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