© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Zeitschriftenkritik: Faktum
Vom Reich zur Republik
Thorsten Thaler

Die staatliche Struktur, in der wir heute leben, schreibt Erika Steinbach, ehemals bis zu ihrem Austritt CDU-Bundestagsabgeordnete und heute Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, diese Struktur „wurde vor 150 Jahren geschaffen“. Das habe nicht nur administrative Bedeutung, sondern „zutiefst auch eine emotionale“. Denjenigen, die sich als Deutsche verstanden, sei „eine greifbare gemeinsame Heimat gegeben“ worden. Auch wenn die deutsche Geschichte sehr viel länger zurückreiche, speise sich aus dem Akt der Reichsgründung im Januar 1871 „bis heute unsere staatliche Souveränität und Identität“, so Steinbach in ihrem Editorial der von der Stiftung herausgegebenen Zeitschrift Faktum (Ausgabe 3/2021).

Schon bei diesen einfachen klaren Sätzen müssen im Amtssitz des Bundespräsidenten sämtliche Warnblinklampen flackern. Statt den glücklichen Moment der Nationwerdung hervorzuheben und Kontinuitäten zu betonen, holte Frank-Walter Steinmeier anläßlich des Festakts zum Tag der Deutschen Einheit 2020 zu einem Rundumschlag gegen die Reichsgründung vor hundertfünfzig Jahren aus: „Die nationale Einheit 1871 wurde erzwungen, mit Eisen und Blut, nach Kriegen mit unseren Nachbarn, gestützt auf preußische Dominanz, auf Militarismus und Nationalismus.“ Mit eiserner Hand sei im Kaiserreich „auch nach innen durchregiert“ worden. Diese in ihrer Pauschalität grobe Geschichtsverfälschung hat unlängst schon Michael Klonovsky im Cato-Magazin mit Verve zurechtgerückt (JF 51/20). 

Im Faktum-Heft zur Reichsgründung nun betont der habilitierte Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau den im Völkerrecht geltenden Grundsatz der Staatenkontinuität. Danach sei die heutige Bundesrepublik nicht nur die Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches, sondern mit diesem als dem einen und einheitlichen Nationalstaat identisch. Auf dem Gebiet der Rechtspolitik und der modernen Verwaltung seien im Bismarckreich diejenigen gesetzgeberischen Grundlagen gelegt worden, die nicht nur den „raschen wirtschaftlichen Aufschwung“ des Kaiserreichs ermöglichten, sondern „vielfach bis auf den heutigen Tag“ in modernisierter Form in Kraft seien. Auf die „föderalen, parlamentarischen und rechtsstaatlichen Traditionen“ der Reichsverfassung sei die Bonner Republik von 1949 überhaupt erst gegründet worden. Überdies sei das Deutsche Reich von 1871 nicht nur in naturwissenschaftlicher und technischer, sondern auch in sozialpolitischer Hinsicht „das modernste Land der Welt“ gewesen, so Vosgerau. Vor allem Briten und Franzosen seien „schier vor Neid“ geplatzt.

Weitere lesenswerte Beiträge von Historikern runden das zudem reich illustrierte Magazin ab. Dag Krienen schreibt über den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, Karlheinz Weißmann über das deutsche Nationalbewußtsein und den „Reichspatriotismus“ sowie der an der Universität

Wien lehrende Lothar Höbelt über die „‘aufgehobene’ großdeutsche Lösung“.

Kontakt: Desiderius-Erasmus-Stiftung e.V., Unter den Linden 21, 10117 Berlin. 

 www.erasmus-stiftung.de