© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Das große Löschen
Nach Ausschreitungen in Washington: Zahlreiche Plattformen verbannen Donald Trump / Infrastruktur des Internets im Visier
Björn Harms / Gil Barkei

Nach den Ausschreitungen um das Kapitol in Washington rollt eine Säuberungswelle durch die sozialen Netzwerke. Als eines der ersten sperrte Twitter das Nutzerkonto des scheidenden amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Begründung: Es bestehe das Risiko, daß Trump den Kurznachrichtendienst dazu nutze, weiter zur Gewalt anzustiften. Bereits unmittelbar nach dem Sturm auf das Kapitol hatte Twitter das Konto Trumps für zwölf Stunden gesperrt, da er die Verantwortlichen der Proteste als „großartige Patrioten“ bezeichnet hatte. Zudem löschte es zwei Einträge des scheidenden Präsidenten wegen Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen. Nun entschied sich das Unternehmen, Trump dauerhaft zu bannen. Mit einer absurden Argumentation: Weil das scheidende Staatsoberhaupt am 20. Januar nicht an der Inauguration von Joe Biden teilnehmen wolle, drohe angeblich weitere Gewalt.

Twitter war mit das wichtigste Sprachrohr Trumps. Anstatt über herkömmliche Medien verbreitete der 74jährige seine Botschaften, Ansichten und politischen Inhalte regelmäßig über den Mitteilungsdienst. Im Wahlkampf hatte Twitter bereits mehrere Beiträge des Präsidenten mit Warnhinweisen versehen, es handle sich bei diesen um falsche oder irreführende Nachrichten. Zuletzt folgten ihm mehr als 88 Millionen Menschen in dem Netzwerk.

Der Jurist und Publizist Joachim Steinhöfel, der als Experte im Kampf gegen Sperrungen und Zensur in den sozialen Netzwerken gilt, verurteilt das Vorgehen Twitters scharf. „Anstelle von Gerichten entscheiden demokratisch nicht legitimierte IT-Giganten wie Facebook und Twitter darüber, ob der US-Präsident Zugang zu Millionen Followern behält oder nicht“, sagte Steinhöfel der JUNGEN FREIHEIT. „Das ist ein unhaltbarer und für einen demokratischen Rechtsstaat inakzeptabler Zustand, der die Tür zu totalitärer Meinungskontrolle öffnet.“ Das Löschen einzelner Tweets könne man diskutieren, die Kontolöschung sei jedoch „vollkommen unverhältnismäßig“, zumal andere Nutzer zu Gewalt aufrufen könnten, ohne daß dies irgendwelche Konsequenzen hätte. „Die völlige Unglaubwürdigkeit von Twitter zeigt sich auch dadurch, daß der iranische Revolutionsführer auf Twitter weiter unbehelligt zur Vernichtung Israels aufrufen kann.“

Die Maßnahmen richten sich allerdings nicht nur gegen Trump. Twitter sperrte auch mehrere Accounts aus seinem Umfeld. Darunter befinden sich etwa der Sicherheitsberater General Michael Flynn, die ehemalige Trump-Anwältin Sidney Powell und der US-Anwalt Lin Wood. Betroffen ist auch Ron Watkins, der Besitzer der Plattform 8kun, die bis Ende 2019 noch 8chan hieß und von Trump-Unterstützern für mehrere Foren genutzt wird. 70.000 Konten, die der Q-Anon-Bewegung nahestehen sollen, wurden ebenfalls durch Twitter gelöscht. Viele konservative Meinungsmacher berichten zudem von Tausenden Twitter-Followern, die über Nacht verlorengingen. Nicht nur in den USA: die JF verzeichnet ebenfalls einen auffälligen Follower-Schwund.

Doch nicht nur Twitter degradiert Trump im Internet zu einer Persona non grata. Facebook verlängerte eine 24-Stunden-Sperre auf unbestimmte Zeit, jedoch „mindestens für die nächsten zwei Wochen, bis der friedliche Machtwechsel vollzogen ist“. Die Ereignisse in der US-Hauptstadt zeigten klar, „daß Präsident Donald Trump seine verbleibende Zeit im Amt nutzen will, um den friedlichen und rechtmäßigen Machtwechsel zu seinem gewählten Nachfolger Joe Biden zu untergraben“, schrieb Mark Zuckerberg in einem Facebook-Beitrag. 

Wie der US-Nachrichtensender Fox News berichtet, gehen mittlerweile ein Dutzend Tech-Unternehmen gegen Trump vor, darunter Google, Spotify, Snapchat, Instagram, Twitch, TikTok und Pinterest. Der Videodienst Dlive sperrte zudem mehrere rechte Kanäle, darunter den des „America First“-Aktivisten Nick Fuentes, der mit knapp 60.000 Abonnenten der größte Content-Ersteller der Streaming-Seite war. Youtube hatte Fuentes bereits im Februar 2020 gelöscht.

Amazon zieht der App Parler den Stecker

Der Journalist Glenn Greenwald, der 2013 gemeinsam mit Edward Snowden die Massenüberwachung durch die NSA aufgedeckt hatte, sieht in der ausufernden Zensur einen neuen „Krieg gegen den Terror“ aufziehen. Wenn Donald Trump aus dem Amt scheide, erklärte Greenwald beim Sender Fox-News, werde Silicon Valley dank seiner Datenhoheit gemeinsam mit dem ausführenden Arm der Biden-Regierung den Kampf gegen „White Supremacists“, was mittlerweile fast jeden Trump-Supporter umfasse, intensivieren und sie so behandeln, wie man eben Terroristen behandelt: „Du überwachst diese Leute, du beobachtest sie, du nimmst sie fest.“ Millionen Wähler stehen damit unter Generalverdacht.

Doch angefeuert von Aktivisten und Politikern des linken Flügels der Demokratischen Partei wie Alexandria Ocasio-Cortez, geht es längst nicht mehr um die Accounts einzelner Personen und ihrer Anhänger. Vielmehr sind ganze Unternehmen, Netzwerke und die tiefergehende Infrastruktur des Internets ins Visier geraten. So haben Apple und Google die bei Rechten und Konservativen beliebte Anwendung Parler (JF 33/20) aus ihren App-Stores genommen. Kurz darauf hat Amazon die Kommunikationsalternative sogar ganz stillgelegt und aus seinem Cloud-Hosting-Angebot gelöscht, weil das Netzwerk angeblich nicht ausreichend gegen „gewalttätige Inhalte“ vorgegangen sei. Die Internetseite von Parler ist derzeit nicht erreichbar.

Für die großen BigTech-Unternehmen bietet die aufgeheizte Stimmung eine willkommene Gelegenheit, gegen unliebsame Konkurrenten vorgehen zu können. „Dies ist ein Kampf gegen uns alle. Liberale, Konservative, Atheisten, Christen, Schwarze, Weiße. Sie wollen ihr Monopol über die Rede behalten. Sie wollen, daß wir uns bekämpfen. Sie wollen nicht, daß wir zusammenarbeiten“, schrieb Parler-CEO John Matze auf seinem Profil und mahnte, Parler sei „die letzte Hoffnung der Welt auf Meinungsfreiheit und freie Information“. Doch die Suche nach neuen Servern, um den Betrieb wieder aufnehmen zu können, gestaltet sich schwierig. Zahlreiche Webhost-Anbieter würden Parler eine Zusammenarbeit verweigern, ließ Matze verlauten. Parler hat mittlerweile Klage gegen Amazon eingereicht.

Probleme, von denen die Twitter-Alternative Gab nicht betroffen ist, weil sie früh die momentane Entwicklung vorhergesehen und vorgesorgt hat. Anders als Parler hat Gab mittlerweile eigene Server eingerichtet, um der Zensur durch die großen Tech-Konzerne zu entgehen. Und die Liste der Dienste, die Gab bereits gesperrt haben, ist lang und reicht von Zahlungsanbietern wie Paypal oder Stripe, über Clouddienste wie Microsoft Azure oder Amazon AWS bis zu hin zum Apple App Store und dem Google Play Store. „Die freie Rede werde sich im Internet durchsetzen, so oder so, und mit Hilfe der Unterstützer werde er weiterhin dafür arbeiten“, sagte Gab-CEO Andrew Torba in einer Video-Botschaft. Er forderte die Nutzer auf, Facebook, Twitter und alle gängigen Anbieter zu verlassen und die entsprechenden Apps von den Handys zu löschen. „Hört auf damit, daß unsere Feinde Geld machen und alles tracken können, was wir tun.“

Daß die Geschehnisse in Übersee tatsächlich die ganze Welt betreffen, zeigen die hastigen Reaktionen innerhalb der deutschen Politik. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), nutzte die Gunst der Stunde, um dafür zu werben, das auf den Weg gebrachte „Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Internet“ noch schneller zu beschließen.

Algorithmen sollen offengelegt werden

Unterstützung für den Vorschlag kommt von SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Das zuvor von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) wegen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gestoppt. Die Richter bemängelten, daß Facebook & Co. sogenannte „Haßkommentare“ an das Bundeskriminalamt melden sollten.Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder schlägt derweil einen Bogen zu „Querdenkern und Teilen der AfD“, die „echtes Unheil über unser Land“ bringen würden. Er warnt: „Was in den USA stattfand, ist nicht weit weg. Wir müssen unsere Demokratie schützen.“ Bundesjustizministerin Christine Lambrecht betonte, die Internetplattformen müßten auch in Europa schärfer reguliert werden, um „Wahlen zu schützen“ und um „gegen Lügen und Verschwörungsmythen konsequent vorzugehen“.

Rückendeckung gibt es von den deutschen Medien: So fordert Alexander Demling im Handelsblatt, die Techkonzerne „müssen nun beginnen, ihre Regeln konsequent und weltweit anzuwenden“. Er hofft, daß auch „‘Make America Great Again’, kurz MAGA, und der QAnon-Mob nicht so schnell eine neue Heimat finden“. Der Spiegel, für den Parler bereits per se „rechtsradikal“ und 8kun „die QAnon-Zentrale“ ist, schreibt, das Eindringen in das Kapitol sei in den Online-Netzwerken „für jedermann sichtbar geplant“ worden.

Zudem hat ein relativ neuer Spieler die Bühne betreten: linksmotivierte Hacker. So berichtet die Technikseite golem.de, daß Netzaktivisten insgesamt 70 Terabyte Datensätze von Parler erbeuten konnten. Diese sollen nun den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden, damit sie mit den teilweise personifizierten Informationen Ermittlungen gegen Nutzer einleiten können.

Bei all dem wachsenden Druck ist es nur eine logische Konsequenz, daß die Dauerbrennerdebatte um die Geheimhaltung der Firmen-Algorithmen wieder aufflammt. In einem Beitrag auf dem Mozilla Blog fordert die Vorstandsvorsitzende des Softwareanbieters, Mitchell Baker, nicht nur „mehr Deplatforming“. Es brauche mehr als „temporäres Ruhigstellen“ oder „dauerhaftes Entfernen“ von „bösen Akteuren“. Neben unabhängigen Studien zur Wirkung sozialer Medien auf die Gesellschaft und mehr Transparenz über Werbeanzeigen und deren Finanziers müßten die Betreiber der Online-Plattformen endlich ihre Algorithmen offenlegen. Ziel sei es, ein „besseres Internet“ zu bauen.