© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Babi Jar – weiterhin Leerstelle der Erinnerung
Holocaust by bullets
(dg)

Bezogen auf den Zweiten Weltkrieg sei das Gedenkjahr 2020 wohl das „letzte runde Jubiläum“ gewesen, an dem noch Zeitzeugen lebten. Deren Stimmen fehlten in Zukunft, was, so fürchten die Historikerinnen Franziska Davies (München) und Ekaterina Makhotina (Bonn), „die politische Indienstnahme der Geschichte nur weiter verstärken wird“ (Merkur, 9/2020). Dabei falle die geschichtspolitische Bilanz auch nach Jahrzehnten der „Vergangenheitsbewältigung“ schon heute alles andere als positiv aus. So machen Davies und Makhotina überall „Leerstellen in der Erinnerung“ aus. Dieser Befund stünde in krassem Gegensatz zu dem Selbstbild der Deutschen, die „Erinnerung an die Shoa erfolgreich abgeschlossen zu haben“. Eine Mehrheit von ihnen wiege sich in der Gewißheit, mit dem Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas den in Stein gehauenen „Grundkonsens deutscher Identität“ (Aleida Assmann) erreicht zu haben. Damit gebe es noch viel tun. Verdränge doch die im Mahnmal fixierte Konzentration des Erinnerns auf Vernichtungslager wie Auschwitz, daß mehr als die Hälfte der ermordeten Juden „im Holocaust by bullets“ durch die Kugeln von SS-Einsatzkommandos starben. Darum sollte die Schlucht von Babi Jar, wo 1941 33.000 Juden von SS und ukrainischen Hilfspolizisten erschossen wurden, gedächtnispolitisch gleichberechtigt neben Auschwitz treten. 


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