© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Neuer Hegemon am Horizont
Der frühere „Zeit“-Journalist Theo Sommer blickt mit Sorge auf das anstehende chinesische Jahrhundert
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Theo Sommer, langjähriger Chefredakteur der Zeit, beschäftigt sich seit einem halben Jahrhundert mit der Politik und Entwicklung des Reiches der Mitte. Ín seinem jüngsten Werk zeichnet er mit großer Sachkenntnis ein wirklich umfassendes Bild des heutigen Chinas. Der Leser erfährt von dem meteorhaften Wirtschaftswunder in den letzten 25 Jahren in dem einstigen Entwicklungsland, das inzwischen nicht nur riesiger Absatzmarkt westlicher Waren ist, sondern zugleich ein potentiell uns erdrückender Konkurrent werden dürfte. 

Zu Pekings innenpolitischen Schattenseiten zählt der Verfasser als das schwierigste Problem die Überalterung der Chinesen, gefolgt von einer grassierenden, bis in höchste Parteispitzen herrschenden Korruption sowie das sehr große Wohlstandsgefälle. Hinzu kommen die bekannten Umweltprobleme. In ihrem Außenhandel kennt die Volksrepublik keinen Schutz geistigen Eigentums, keine volle Gegenseitigkeit der Marktzugänge, westliche Firmen werden nur mit chinesischer Beteiligung zugelassen.

Im Gegensatz zur zurückhaltenden Außenpolitik Deng Xiaopings ist diese seit Machtantritt Xi Jinpings robuster. Er hat heute mehr Macht als einst Mao Tse-tung. Sein Streben ist, die USA als Weltführungsmacht abzulösen und durch China zu ersetzen. Xis Nahziel stellt die „Befreiung“ Taiwans dar, obwohl es nie zur Volksrepublik gehörte. Sein zweites Problem ist das Südchinesische Meer mit seinen Erdöl- und Erdgasvorkommen, eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt, das Xi mit dem dortigen Bau künstlicher Inseln als „chinesisches Hoheitsgebiet“ betrachtet und den Vereinigten Staaten einen ungehinderten Zugang versperren und sie von dort verdrängen will. 

Die USA werden indes entschlossen den Status quo verteidigen, was zum „gefährlichen Wettrüsten“ führen wird. Im Buch wird der geschichtlich begründete Streit Chinas mit Japan ausgeführt, der bis heute andauert. Auch Indien hat starke Differenzen mit Peking wegen dessen Unterstützung Pakistans und über die Himalaya-Grenze, zudem befürchtet Neu-Delhi Chinas Eindringen in seine Einflußsphäre. Streitigkeiten zwischen Peking und Moskau sind bereits in der ideologischen Eigenständigkeit Maos gegenüber Stalin und in offenen Grenzstreitigkeiten zu suchen. Rußland befürchtet zudem eine chinesische Überfremdung seiner fernöstlichen Gebiete.

Einen Großteil widmet Sommer dem Verhältnis Pekings zu Europa, wo es 46 Milliarden Dollar investierte. Zweifellos bringt dies viel Kapital, schafft Arbeitsplätze und bietet manchem Mittelständler Zugang zum chinesischen Markt. Es ist dies indes kein staatskapitalistischer Ausdehnungsdrang Pekings, sondern seine Globalstrategie mit bestimmten geopolitischen Zielen. Daher, so mahnt der Verfasser eindrücklich, sollten sich die Europäer nicht von kurzfristigen Geschäftschancen blenden lassen. In führenden deutschen Wirtschaftskreisen dominiert dann auch die große Sorge vor technologischem Ausverkauf: Europa könne Pekings technologische Überlegenheit durch unseren Handel sogar erst ermöglichen, um dann nach Verwertung unseres Know-hows Europa aus dem chinesischen Markt wieder zu verdrängen. 

Europa muß einheitliche Chinapolitik formulieren

Unbedingt müsse der Ausverkauf unserer Kerntechnologie verhindert werden. Stets sollte das Problem der Sicherheit in jeder Weise beachtet werden. Europa habe keine einheitliche China-Politik. Diese ist indes unabdingbar, wenn die Europäische Union im Wettbewerb mit China bestehen will. Andernfalls wird sie zur „weltpolitischen Randerscheinung“.

Militärische Konfrontationen sind dabei nicht unabwendbar, aber durchaus denkbar. Indes sind Konkurrenz und Kooperation zugleich möglich. Die Welt solle sich daher auf gemeinsame Interessen konzentrieren. Aufgabe der Diplomatie müsse sein, solche Bereiche zu entdecken und auszuweiten, so daß ihr Verhältnis zueinander nicht durch negative Erwägungen überschattet wird. Ziel sollte eine Machtbalance sein, die Frieden und Wohlstand aller sichert. Nicht nach Pekings Willen „China first“, sondern „Together first“!

Theo Sommer: China first. Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert. Verlag C. H. Beck, München 2020, broschiert, 496 Seiten, Abbildungen, 16 Euro