© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ungesühnt, abgeheftet
Paul Rosen

Man stelle sich vor: Das Finanzamt findet geschönte Angaben in der Steuererklärung, weist auf rechtswidriges Verhalten hin – verzichtet jedoch auf Nachforderungen und unternimmt weiter nichts. Politiker jedenfalls, die sonst eifrig zur Jagd auf Steuersünder blasen, können in eigenen Angelegenheiten durchaus sehr zurückhaltend sein. So bleiben Geldverschwendung und zweckwidrige Ausgaben der Bundestagsfraktionen seit Jahrzehnten ungesühnt. Verantwortliche werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Rechenschaftsberichte enthalten nicht viel mehr als oberflächliche Angaben zu Einnahmen und Ausgaben.

120 Millionen Euro werden den Bundestagsfraktionen jedes Jahr aus der Staatskasse zugewiesen. Die Summe ist in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen. Eine Ursache dafür sieht Parteienfinanzierungsexperte Hans Herbert von Arnim darin, daß das Bundesverfassungsgericht zwar mehrfach die Finanzierung der Parteien begrenzt habe, aber nicht die für Abgeordnetenmitarbeiter, Parteistiftungen und Fraktionen.

Ein Teil der Fraktionsmittel wird regelmäßig zweckwidrig verwendet, weist der Bundesrechnungshof nun in einem Bericht nach – nicht zum ersten Mal. Konsequenzen? Keine. Zwar kam die Bundestagsverwaltung in Teilen zur selben Einschätzung wie der Rechnungshof. Dennoch sah sie „auf Basis der derzeitigen Rechtslage von eventuellen Rückforderungen ab“. Der Hinweis auf die Rechtslage ist interessant. Das 1995 beschlossene Abgeordnetengesetz sieht nämlich eine Pflicht zur Finanzierung der Fraktionen aus der Staatskasse vor, aber keine Sanktionsbestimmungen für zweckwidrige Mittelverwendung. Seit nunmehr 25 Jahren fehlen „Ausführungsbestimmungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung der Fraktionen“ (Rechnungshof).

Besonders stören sich die Prüfer an den in der jüngsten Zeit stark gestiegenen Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit. Die Fraktionen sind natürlich auch in den neuen Medien und auf Kanälen wie Facebook vertreten – samt selbstproduzierten Shows, Talkformaten, Dokumentarfilmen und Nachrichtenmagazinen. Damit würden sie für sich einen von der parlamentarischen Arbeit losgelösten Bildungsauftrag reklamieren, den sie gar nicht hätten. Ein „eindeutiger Bezug“ zur Tätigkeit der Fraktionen sei in vielen Beiträgen nicht zu erkennen. Da es aber keine klaren Ausführungsregeln und Sanktionsbestimmungen gibt, kommt der Rechnungshof zu dem resignativen Fazit: „Faktisch bestimmen die Fraktionen jeweils für sich, was sie für eine noch zulässige Unterrichtung halten.“  

Somit bleiben Veröffentlichungen in den sozialen Medien, in denen regelmäßig zweckwidrig Parteiinhalte verbreitet werden, ohne Strafen stehen und werden nicht gelöscht. „Insgesamt fehlt es an einem rechtlichen Instrumentarium, Verstöße wirksam zu sanktionieren und damit auf ein rechtstreues Verhalten hinzuwirken“, klagt der Rechnungshof in seinem Bericht, dessen Schicksal schon feststeht: Er wird in irgendwelchen Schubladen im Bundestag verschwinden, wo schon die Vorgängerberichte seit Jahrzehnten liegen.