© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

„Rechtsstaatliche Defizite in Deutschland“
Interview: Der AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk über die Arbeit des Wirecard-Untersuchungsausschusses
Jörg Fischer

Herr Gottschalk, Wirecard wurde jahrelang abgefeiert, Behörden verfolgten Kritiker, der Zahlungsabwickler war Thema auf einer China-Reise von Angela Merkel. Wie lange glaubten Sie der „Erfolgsgeschichte“?

Gottschalk: Die ersten Zweifel kamen mir 2016, als ich das erste Mal von dem Zatarra-Bericht hörte. Ich selbst bin nie bei Wirecard eingestiegen, denn „Investiere niemals in ein Geschäftsmodell, das du nicht vollständig verstehst“. Wieso konnte Wirecard im Verhältnis zur Konkurrenz deutlich höhere Margen erzielen? Am Ende hat sich gezeigt, warum. Manche Aktien-Bewertungen basierten nur auf Zukunftsvisionen. Anders kann man sich auch nicht erklären, wie Tesla wertvoller sein kann als VW, Daimler und BMW zusammen.

Im Oktober wurden Sie Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum Wirecard-Skandal. Als Oppositionspolitiker verlangen Sie die Entlassung von Felix Hufeld als Präsident der Finanzaufsicht BaFin. Warum?

Gottschalk: Die BaFin hat nach den kritischen Berichten der Financial Times ein Leerverkaufsverbot für Wirecard verhängt. Viele Anleger gingen dann davon aus, daß die Vorwürfe durch die BaFin geprüft wurden und diese entkräftet sind – doch dies ist nie passiert. Ich sehe die BaFin als Dienstleister, Hufeld ist seit 2015 ihr Chef. Er hätte schon CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, aber spätestens seinen SPD-Nachfolger Olaf Scholz drängen müssen, Aufsichtsgesetze anzupassen.

BaFin-Mitarbeiter haben offenbar auch mit Wirecard-Aktien gehandelt ...

Gottschalk: Ja, das war grotesk. Mittlerweile sind interne E-Mails bekannt, nach denen die BaFin sehr wohl die Befugnisse gehabt hätte, Wirecard nicht als „Fintech“, sondern als Zahlungsinstitut einstufen zu können. Dann wäre eine Überprüfung viel leichter gewesen.

Nach dem 101seitigen Zatarra-Bericht über Korruption, Betrug, Geldwäsche und illegales Glückspiel bei Wirecard erregte sich die BaFin 2016 in einem Brief an das Finanzministerium über „israelische und britische Staatsangehörige“, die „gewinnbringende“ Leerverkäufe tätigten. Muß nun auch der damalige Ressortchef vor dem PUA aussagen?

Gottschalk: Wolfgang Schäuble wird definitiv Rede und Antwort stehen.

Zu den Geheimdienstverbindungen hört man wenig. Dabei war doch Schäuble in seiner jahrzehntelangen Karriere mehrmals für die deutschen Dienste zuständig.

Gottschalk: Aktuell haben wir noch keine weiteren Erkenntnisse, aber der frühere Wirecard-Finanzvorstand Jan Maršálek hat offenbar nicht nur acht österreichische Pässe, sondern auch einen usbekischen Diplomatenpaß gehabt. Interessant ist, daß Klaus-Dieter Fritsche (CSU) jahrzehntelang für die deutschen Nachrichtendienste zuständig war. In seinem Ruhestand soll Fritsche das österreichische Innenministerium beraten haben und 2019 Wirecard-Finanzvorstand Alexander von Knoop einen Termin mit dem Wirtschaftsberater der Kanzlerin vermittelt haben.

Der Münchner Insolvenzverwalter Michael Jaffé hat die Wirecard-Machenschaften schnell durchschaut. Wie erklären die hochbezahlten Wirtschaftsprüfer von EY & Co. ihr jahrelanges Versagen?

Gottschalk: Herr Jaffé soll im Februar aussagen. Die Verteidigung der Prüfer hat immer ein ähnliches Muster, man sei Opfer eines großen Betrugsfalles und krimineller Manipulationen. Bei den „Big Four“ – Deloitte, EY, KPMG und PwC – steht die Problematik des Konfliktes zwischen Wirtschaftsprüfung und steuerlicher Beratung im Fokus. Es kann doch nicht angehen, Regelungen auf EU-Ebene mitzugestalten und „Gesetzeslücken“ so zu konstruieren, um sie dann für teures Geld als „Sparmodell“ verkaufen zu können. Früher waren Versicherungs- und Bankgesellschaften aus gutem Grund getrennt. Warum werden nicht Wirtschaftsprüfung und steuerliche Beratung getrennt? Dann sähe manches anders aus.

Die BaFin erließ Anfang 2019 ein Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien. Die New Yorker Hedgefonds-Managerin Fahmi Quadir (Safkhet Capital) berichtete am 15. März 2019 BaFin-Referatsleiter Jean-Pierre Bußalb in einem 15seitigen Brief von Wirecard-Auffälligkeiten – doch nichts geschah.

Gottschalk: Die BaFin glaubte, Leerverkäufer seien böse Spekulanten. Hätte die BaFin damals sorgfältig geprüft, hätte es kein Leerverkaufsverbot gegeben. Hufeld hat versagt, aber wir werden nicht zulassen, daß er als Bauernopfer geht und die Verantwortlichen aus den höheren Rängen verschont bleiben. Das wird es mit der AfD nicht geben.

Der „Financial Times“-Journalist Dan McCrum hat im November vor dem PUA ausgesagt. Zusammen mit seiner Kollegin Stefania Palma hat er den Wirecard-Skandal frühzeitig aufgedeckt. Doch die Münchener Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen den Briten.

Gottschalk: McCrum betonte, daß er Beweise anhand von Belegen und Dokumenten hatte, die in England sofort dazu geführt hätten, daß das Wirecard-„Geschäftsmodell“ aufgeflogen wäre. Er wollte einen großen Schaden verhindern und mußte am Ende ein Leben führen, in dem er von bis zu 26 Privatdetektiven überwacht wurde. Er mußte um seine Sicherheit bangen und konnte nur noch in völlig isolierten Räumen arbeiten – nur weil er einen Skandal aufdecken wollte. Das zeigt rechtsstaatliche Defizite in Deutschland auf. Wie unabhängig sind unsere Gerichte? Wie weit gehen die Weisungsbefugnisse von Ministern?

Seit 2016 gibt es eine 30-Prozent-Frauenquote für Aufsichtsräte. Mit Anastassia Lauterbach, Vuyiswa V. M’Cwabeni und Hauke Stars wurde diese bei Wirecard übererfüllt. Und mit Stefan Klestil, Sohn eines österreichischen Ex-Bundespräsidenten, gab es sogar Prominenz in dem Sextett – geholfen hat es offenbar nicht?

Gottschalk: In meinen Augen hat dieser Aufsichtsrat völlig versagt. Erst ganz am Ende wurde ein Prüfungsausschuß eingesetzt. Ich fordere daher eine generelle Pflicht für Aktiengesellschaften, ständig solche Gremien einzurichten

Wegen der Corona-Krise ist der Wirecard-Skandal medial in den Hintergrund geraten. Was muß sich bei der Börsen- und Finanzaufsicht dennoch ändern?

Gottschalk: Es bedarf eines echten Mentalitätswechsels, mit einer kritischen Grundhaltung als neue Ratio. Wir benötigen eine BaFin mit klaren Durchgriffsrechten und Befugnissen. Die BaFin und die Abschlußprüferaufsichtsstelle gehören in ein Ministerium und unter eine Aufsicht. Hier gilt es Synergien zu nutzen und Kompetenzen zu bündeln, anstatt sie zu trennen. Selbstverständlich wird man mehr Personal benötigen, das die notwendige Expertise hat. Hier konkurrierte der Bund aber mit den großen Anwaltskanzleien und den „Big Four“, die viel mehr Geld zahlen können.






Kay Gottschalk, geboren 1965 in Hamburg, hat nach dem Abitur und einer Banklehre ein Doppelstudium BWL/Jura absolviert. Danach arbeitete er als Manager in großen Versicherungskonzernen. Von 1982 bis 1991 SPD-Mitglied, stieg er angesichts der sogenannten Euro-Rettungspolitik 2013 wieder in die Politik ein und wurde AfD-Gründungsmitglied. Seit 2017 ist er Bundestagsabgeordneter.





Finanzdienstleister Wirecard

Die Wirecard AG (JF 27/20) war ein global tätiger Dienstleister im elektronischen Zahlungsverkehr. 1999 in der „New Economy“-Euphorie in Aschheim bei München gegründet, kam 2006 die Wirecard Bank, und es erfolgte der Aufstieg in den Mdax. Seit 2015 zweifelte die Financial Times (FT) an der Wirecard-Bilanz, der Aktienkurs schwankte stark. Dennoch verdrängte Wirecard 2018 die Commerzbank aus dem Dax – deutsche Leitmedien und Politiker vertrauten Wirecard weiterhin. Gegen FT-Journalisten wurde sogar wegen Kursmanipulation ermittelt, die Finanzaufsicht (BaFin) hinterfragte nicht die Wirecard-Bilanzen, sondern erließ 2019 ein Leerverkaufsverbot für Wirecard -Aktien. Erst im Juni 2020 gestand der Wirecard-Vorstand ein, daß Guthaben auf Treuhandkonten von über 1,9 Milliarden Euro „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existieren“. Vorstandschef Markus Braun trat zurück und kam in Haft. Nach dem mit mehreren Pässen ausgestatteten Chief Operating Officer Jan Maršálek wird international gefahndet. (fis)

 www.wirecard.com