© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Digitale Polizei als Retter?
Big Tech und die Biden-Administration: Aufstand gegen die Allmacht von Facebook & Co.
Elliot Neaman

Auf dem Rücken der Big Tech-Konzerne prangt eine große Zielscheibe. Das ist nicht unbedingt neu, aber seit Trump die Wahl verlor, kommen die Pfeile von überall – von links, rechts und aus der Mitte. Lange Zeit versuchten die Social-Media-Unternehmen unter der Prämisse zu arbeiten, daß sie einfach neutrale Plattformen für Informationen seien. 

So gab Mark Zuckerberg 2016 zu Protokoll, er halte die Idee, daß der Newsfeed auf seiner Plattform irgendeine Rolle bei der Wahl von Trump gespielt habe, für „verrückt“. Das glaubt heute niemand mehr, nicht einmal der CEO von Facebook selbst. Genau wie im Falle von Standard Oil im Jahr 1911 oder der riesigen Telefongesellschaft AT&T im Jahr 1984 fordern nun viele Abgeordnete und Juristen die Zerschlagung der Internetfirmen. 

Die meisten Experten sehen eine Auseinandersetzung mit der neuen Biden/Harris-Administration bereits kommen. Die einzige Frage wird sein, in welcher Form und in welchem Umfang? Biden hat eine große Anzahl ehemaliger Tech-Führungskräfte ausgewählt, die nun in seiner Regierung arbeiten oder sie beraten. Vizepräsidentin Kamala Harris, die ehemalige Senatorin aus Kalifornien, hat beste Verbindungen ins Silicon Valley, unter anderem zu Sheryl Sandberg, Chief Operating Officer von Facebook. 

Harris unterstützte im Wahlkampf keine aggressiven Schritte zur Zerschlagung von Big Tech und konzentrierte sich stattdessen auf den Verbraucherschutz. Kein Wunder, schließlich spendete Big Tech viele Millionen Dollar, um Harris, die Demokratische Partei und die Biden-Kampagne im Jahr 2020 zu unterstützen. Biden hat noch keine spezifischen politischen Positionen verkündet, aber auf der Wahlkampftour sprach er sich für verschiedene Reformen aus. Dennoch ist die neue Administration eine gute Nachricht für Silicon Valley. Biden wird die großen Tech-Spender, die ihm zum Wahlsieg verhalfen, nicht verprellen wollen.

Der regulatorische Druck auf die Konzerne begann unter der Trump-Administration. Am 9. Dezember reichten die Federal Trade Commission und sechsundvierzig Bundesstaaten eine Kartellrechtsklage gegen Facebook ein, die das Unternehmen zwingen würde, sich von Vermögenswerten wie Instagram und WhatsApp zu trennen.

 Google sieht sich mit einer ähnlichen Klage von achtunddreißig Staaten konfrontiert, die sich auf seine angebliche monopolistische Kontrolle der Suchergebnisse und deren Monetarisierung bezieht. 

Gerade der Umgang von Big Tech mit Kundendaten steht derzeit im Fokus. Die Europäische Kommission hat bereits einen „Digital Services Act“ und den „Digital Markets Act“ entworfen (siehe unten), die sicherlich als Ausgangspunkt für das dienen werden, was in den Vereinigten Staaten passiert. Die neuen Regelungen könnten Internetunternehmen, große wie kleine, dazu zwingen, den Kunden mehr Kontrolle über die Verwendung ihrer persönlichen Daten zu geben. 

Entscheidend ist: Private Unternehmen fallen in den USA nicht unter die Bestimmungen des Ersten Verfassungszusatzes zur freien Meinungsäußerung. Konservative beschweren sich jedoch seit langem darüber, daß Silicon Valley und „Big Business“ auf die linke Seite des politischen Spektrums abgedriftet sind. Nachdem man Trump seine digitalen Plattformen unter den Beinen wegzog, machen sich mittlerweile viele Konservative, darunter auch Trump-Gegner, Sorgen darüber, wie große Konzerne ihre Macht nutzen werden, um künftig die amerikanische Politik zu beeinflussen, zumal die Demokraten nun alle drei  Machtzentren kontrollieren werden. 

Konservative haben lange die Rechte privater Unternehmen verteidigt, ihre Geschäfte unabhängig von staatlicher Einmischung zu betreiben. Aber nun, da sie erkennen, daß die Demokraten Big Tech zu einer Waffe machen könnten, werden sie sich vielleicht nur allzu gerne dem Kampf gegen sie anschließen, um die Konzerne zu zügeln.

Anwälte und Lobbyisten sollen Big Tech helfen

Ein gutes Beispiel für das vielschichtige Problem, mit dem der neue Präsident Joe Biden konfrontiert sein wird, ist die Frage um Artikel 230 des „Communication Decency Act“ von 1996. In diesem Gesetz beschlossen die Regulierungsbehörden zu Beginn des digitalen Zeitalters, daß Internetprovider eher wie Versorgungsunternehmen behandelt werden, die lediglich eine Ressource, in ihrem Fall Informationen, bereitstellen, und nicht wie Medienunternehmen, die für veröffentlichte Inhalte haftbar gemacht werden können.

Eine beträchtliche Anzahl von Kritikern, darunter auch Trump, wollen, daß Artikel 230 abgeschafft wird. Das würde bedeuten, daß die Social-Media-Unternehmen keinen Schutz mehr vor der Haftung für das, was auf ihren Seiten veröffentlicht wird, genießen würden. Die Ironie daran: Bei einer Abschaffung des Artikels 230 dürfte es also mehr und nicht weniger Zensur im Netz geben. 

Der Schutz der demokratischen Freiheit und die Reduzierung der Macht von Big Tech ist ein lobenswertes Ziel, birgt aber ein Minenfeld an Problemen. Einige Experten haben zum Beispiel vorgeschlagen, daß Nutzer sozialer Medien in der Lage sein sollten, ihre eigenen Daten zu besitzen und sie von einer Plattform zur anderen zu übertragen (auch „Portabilität“) genannt.

Die Europäische Union hat ein solches Gesetz bereits im Jahr 2018 auf den Weg gebracht (General Data Protection Regulation“ oder kurz: GDPR). Doch die Umsetzung gestaltet sich mehr als schwierig. 

Wie überträgt man zum Beispiel seinen Google-Suchverlauf auf Facebook, das eine andere Struktur hat? Man könnte auch Datenschutzgesetze durchsetzen, wie es die GDPR tut, indem man die Art und Weise einschränkt, in der große Tech-Unternehmen verbrauchergenerierte Daten nutzen. Das hört sich auf dem Papier gut an, tatsächlich aber würde die Regulierung großen Unternehmen wie Google und Facebook einen enormen Vorteil verschaffen, da sie bereits so viele der Daten auf ihren Seiten besitzen. Kleinere Konkurrenten hätten kaum eine Chance zu konkurrieren, da sie niemals in der Lage wären, die Menge an Metadaten anzuhäufen, die die großen Unternehmen bereits über ihre Nutzer besitzen. 

Doch die Technologieunternehmen sind sich der auf sie zukommenden Klage- und Regulierungswelle durchaus bewußt und rüsten sich, indem sie Armeen von Lobbyisten und Anwälten einstellen, die ihre Unternehmen verteidigen sollen. Die Regierung hatte bereits 1999 drei Jahre lang versucht, Microsoft zu zerschlagen und ist dabei grandios gescheitert. Wenn Facebook also wie AT&T zerschlagen würde und gezwungen wäre, eine Reihe von Tochterunternehmen zu gründen, was würde eines der Facebook-Kinder davon abhalten, wieder zu einer erwachsenen Dominanz heranzuwachsen, so wie AT&T es heute tut? Heute leben auch die Giganten BP, Chevron und Exxon-Mobil als Überlebende von Standard Oil weiter.

Neue Wächter, die die Big Wächter kontrollieren?

Kurz gesagt, der Krieg gegen Big Tech wird wahrscheinlich mit einer Reihe von kleinen Siegen und vielen Kompromissen enden. Es wird vielleicht neue Technologien brauchen, nicht etwa Anti-Technologie, um einige der Probleme zu beheben. Neue Tech-Firmen könnten durch ein koordiniertes Mandat der Regierung und die finanziellen Verlockungen des freien Marktes angeregt werden. 

Der Kongreß könnte große Tech-Unternehmen dazu zwingen, ihren Plattformen eine „Guardian Software“ beizufügen, also eine Art digitale Polizei, die Inhalte auf ihre Richtigkeit hin beurteilt, Unwahrheiten kennzeichnet, den Nutzern mitteilt, wie ihre Informationen verwendet werden, und Mittel zum Schutz ihrer Informationen bereitstellt.

Diese neuen Unternehmen würden einen Teil der von ihren Nutzern generierten Einnahmen erhalten, so daß der Wettbewerb zu immer besseren Werkzeugen führen würde, um das Internet zu verbessern, den Mißbrauch einzudämmen, aber auch die besseren Wächter von den weniger effizienten oder weniger ethischen zu trennen. Möglicherweise müßte eine weitere Schicht von Wächtern installiert werden, um wiederum die Wächter zu kontrollieren. Dieses System wäre kompliziert, aber zumindest transparenter als das, was wir heute haben.






Prof. Dr. Elliot Neaman, Jahrgang 1957, lehrt Europäische Geschichte an der University of San Francisco.