© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Im Takt der großen Maschine
Corona-Herdendisziplin: Den Albtraum, in den wir immer tiefer hineingeraten, haben filmische Dystopien vorweggenommen
Thorsten Hinz

Für Menschen mit autoritären und diktatorischen Gelüsten ist mit Corona ein goldenes Zeitalter angebrochen. Soviel Herdendisziplin einerseits und administratives Durchgriffsrecht andererseits gab es seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Demos, das Volk, die Gesellschaft – sie sind atomisiert, aufgespalten, zerfallen in maskierte, anonymisierte Monaden, die sich gegenseitig als Infektionsquelle mißtrauen und kontrollieren. Shutdown, Lockdown – die Begriffe bezeichnen das Ersterben des gesellschaftlichen Lebens, „(eine) Art seltsames, kollektiv tötendes – oder genauer: abtötendes – soziales und historisches Nichtigwerden“, wie es Václav Havel am Beispiel der kommunistischen Regimes beschrieben hat.

Das Leben der Menschen wird zur Abfolge von Nicht-Ereignissen und „verändert sich zu eintönigem Funktionieren als Teil einer großen Maschine“. Die Maschine verleibt sich auch die privaten Nischen ein. So wurde in Sachsen eine kleine Skatrunde zum Zielobjekt eines Polizeieinsatzes, weil aufmerksame Nachbarn gemeldet hatten, daß die Teilnehmer drei verschiedenen Haushalten entstammten.

Noch etwas verdeutlicht dieses Beispiel: Auch die Effektivität des Corona-Regimes hängt davon ab, in welchem Maße es die Zustimmung und Unterstützung derer mobilisieren kann, die von ihm unterworfen werden. Eine perverse Dialektik verschafft sich Geltung: Die Menschen, durch den Lockdown der Wirklichkeit beraubt, durch Kontaktbeschränkungen auf sich zurückgeworfen und durch Dauerbeschallung verunsichert, ja neurotisiert, akzeptieren mehrheitlich die Propaganda und die verordneten Verhaltensregeln als Wirklichkeits- und Sinnersatz. Wer die Vorschriften überschreitet, ist daher neben dem physischen auch ein geistig-moralischer Gefährder. Denn die verlorene Normalität, die der Dissident zitiert, ist der Spiegel, in dem die anderen das Absurde ihrer neuen Existenzform erblicken.

Die gesellschaftliche Paralyse degradiert die Menschen zur Verfügungsmasse der Politik. Als ein Resultat des Lockdowns zeichnet sich die weitgehende Enteignung und der Bankrott des Mittelstandes, der Selbständigen, überhaupt der Mittelschichten ab. Aus Bürgern, die sich durch Fleiß, Selbstverantwortung und Wertschöpfung ein Recht auf Freiheit, Sicherheit und materielles Auskommen erworben zu haben glaubten, wird ein Heer von Proletariern, die am Tropf des Staates und von mit ihm verflochtenen Großkonzernen hängen. Wobei der Staat zur Verwaltungseinheit eines globalen Machtkonglomerats herabgestuft ist, zu dem ein paar Handvoll weltweiter Monopolisten gehören: ein staatsmonpolistischer Kapitalismus (Stamokap) auf globaler Ebene.

Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte zynisch: „Die Corona-Krise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion,

die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen ...“ Gegenwehr zu formieren, ist in der Tat so gut wie unmöglich. Das Parlament wird von einem granitfesten Parteienblock beherrscht, die Medien sind auf Kurs, die sozialen Netzwerke unterliegen der „Cancel Culture“, und wer Protest auf die Straße tragen will, wird vom baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU) – nebenbei: Schäubles Schwiegersohn – den „hartnäckigen, uneinsichtigen Quarantänebrechern“ zugeordnet, die „abzusondern“ und „in einem abgeschlossenen Krankenhaus unterzubringen“ sind. Auch Hausdurchsuchungen zur „Gefahrenabwehr“ samt Beschlagnahme von Laptops, Handys, SIM-Karten, Speichermedien – so im Fall des Heißsporns Attila Hildmann – gehören zum staatlichen Repertoire. Der Wasserwerfer-Einsatz am Brandenburger Tor während der Bundestagsdebatte zum Epedemie-Gesetz war polizeiintern umstritten, politisch jedoch gewollt. Und was bisher schlicht als „Grundrecht“ galt, wird zum „Privileg“ umgedeutet, das man sich durch Loyalität zur Obrigkeit verdienen muß.

Der Albtraum, in den wir immer tiefer hineingeraten, wurde als filmische Dystopie längst vorweggenommen. Der Stummfilm „Metropolis“ von Fritz Lang aus dem Jahr 1926 zeigt eine Stadt der Zukunft, die streng geteilt ist in zwei Bezirke: In luxuriösen Hochhäusern leben unerreichbar die Herren der Welt. In der unteren Welt hausen die Arbeitsmonaden, deren freudlose Existenz im Rhythmus der Maschinen getaktet ist. Gegen eine sich anbahnende Revolte kommt bereits künstliche Intelligenz zum Einsatz. Eine Maschinenfrau, eine falsche Erlöserin namens Maria wird kreiert, deren Aufgabe darin besteht, Chaos zu stiften, auf das die Machthaber mit einem finalen Gegenschlag antworten wollen. Leider beschloß Fritz Lang seinen Film mit einem irrealen, sozialromantischen Happy-End.

In den Hollywood-Dystopien, die in den 1970er Jahren produziert wurden, gibt es statt Romantik nur noch desillusionierte Einzelkämpfer. Die Filme entstanden im Nachgang des Berichtes „Grenzen des Wachstums“, den der „Club of Rome“ 1972 veröffentlichte. Die Verfasser prognostizierten, daß weltweites Bevölkerungswachtum, Industrialisierung, Umweltverschmutzung, die Lebensmittelproduktion und die Erschöpfung natürlicher Ressourcen die Menschheit in wenigen Jahrzehnten an die Wachstumgsgrenze führen würden. Als hochproblematisch wurde das soziale Nord-Süd-Gefälle thematisiert. Einzelmaßnahmen reichten zur Abhilfe nicht mehr aus. „Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen.“

Der amerikanische Science-fiction-Film „Die Körperfresser kommen“ (1978) ist eine Parabel auf die radikalste, nämlich biopolitische Transformation der Gesellschaft. Eine Vireninvasion aus dem All sucht San Francisco heim. Mikroorganismen bemächtigen sich der Menschen im Schlaf und ersetzen sie durch äußerlich identische, jedoch entpersönlichte, mechanisch agierende Doppelgänger. Die Körperfresser sind vor allem auch Seelenfresser. Mit der steigenden Zahl der Menschen-Duplikate breiten sich Panik und Aggressivität aus. Die Zombies machen mit einem tierhaften Signalruf auf die normal gebliebenen Menschen aufmerksam und blasen zur Jagd. Alle Versuche, die Öffentlichkeit zu warnen und das Unheil aufzuhalten, sind vergeblich, denn die staatlichen Stellen, die Institutionen und Behörden sind bereits unterwandert! 

Eine vergleichsweise milde Gleichgewichts-Transformation zeigt der Film „Rollerball“ aus dem Jahr 1975. Der globale Milliardärs-Sozialismus, von dem David Engels schrieb (JF 50/20), also Reichtum und Macht für eine kleine Minder- und Brot und Spiele für die Mehrheit, ist hier perfekt verwirklicht. Die Nationen sind durch weltweit agierende Konzerne ersetzt, die die wirtschaftliche, politische und kulturelle Macht in ihren Händen vereinen. Bürgerliche und geistige Freiheit sind verdampft und sie werden nicht vermißt, weil die Konzern-Herrschaft für Wohlstand und Sicherheit sorgt.

Die überschüssigen Energien der Massen werden beim Rollerball absorbiert, einer ins Brutale gesteigerten Kombination aus Motorradrennen und American Football, bei der nicht selten die Leben der Mitspieler verlorengehen. So ist dafür gesorgt, daß kein Idol sich für längere Zeit aus der Masse heraushebt und Erwartungen auf sich zieht, die die egalitäre Harmonie stören. Gleichzeitig befördern die Konzerne die kollektive Infantilisierung, indem sie das kulturelle und geschichtliche Menschheitswissen in Vergessenheit geraten lassen. Kritik- und Reflexionsfähigkeit gehen verloren, es herrscht ewige, schwachsinnige Gegenwart. 

Selbst diese Vision wird sich höchstens in den verbliebenen „Kompetenzfestungen“ (Gunnar Heinsohn) der kollabierenden westlichen Wohlstandszonen umsetzen lassen. Deutschland wird kaum dazu gehören, denn wer kann und will noch für Wohlstand und Sicherheit sorgen, wenn die wirtschaftlichen Grundlagen vernichtet, gesetzestreue Bürger und Leistungsträger systematisch gegängelt, ausgepreßt, zur Republikflucht veranlaßt und durch Analphabeten ersetzt werden? 

Näher am Erwartbaren erscheint das Zukunftsbild, das der Film „Soylent Green“ („... Jahr 2022 … die überleben wollen“, 1973) entwirft. Er intendierte die Aufforderung zur Um- und Abkehr von der Wachstumsideologie. New York zählt 40 Millionen Einwohner, es ist in Schmutz und Chaos versunken und wird mit brutaler Gewalt regiert. Die verarmten Massen werden mit dem synthetischen Lebensmittel Soylent Green abgefüttert, das angeblich aus grünem Plankton, in Wahrheit aus Leichen verfertigt ist.

Die Wendung zu Kannibalismus und Nekrophilie läßt sich freudianisch-metaphorisch interpretieren: Die westliche Zivilisation fristet ihr spätes Dasein, indem sie sich vom eigenen Abfall nährt. Amazon, Facebook, Big Tech, große Medien- und Pharmakonzerne und natürlich McDonalds produzieren daraus Fastfood, das den Panikpegel der menschlichen Reflexbündel auf einem Niveau stabilisiert, das kontrollierbar bleibt.

Für den heutigen Zuschauer antizipieren die Filme die Umstände und Folgen der laufenden Transformation, die – beschleunigt durch Corona – absehbar jene Lage herbeiführt, die sie – wenigstens nach den Aussagen ihrer Betreiber – verhindern sollte.