© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Dieser Tage bin ich in aufgegebenen und vermoderten Kirchen, Kapellen und Klöstern unterwegs gewesen. Natürlich nicht in der analogen Wirklichkeit, aber nicht minder faszinierend in der Welt digitaler Bilder. Der französische Fotograf Francis Meslet lichtete in den vergangenen Jahren mehrere hundert vornehmlich einstmals religiöse Bauten in ganz Europa ab. Eine Auswahl davon zeigt er jetzt in dem grandiosen Bildband „Verlassene Kirchen – Kultstätten im Verfall“ (Jonglez-Verlag, 224 Seiten, 35 Euro). In dem Vorwort des Autors und Historikers Christian Montésinos heißt es dazu: „Nichts ist für die Ewigkeit. (…) Die Zeit tut ihr Werk. Unnachgiebig, unerbittlich, gleichmütig. Wind und Regen nagen unaufhörlich an Dächern, Wänden und Fenstern. Glas zerbricht und die Elemente setzen ihr Werk unbeirrt fort. Zuerst sammelt sich nur vereinzelt Laub. Nach und nach beginnen Flechten, Moos und Gras zu wachsen. Schließlich finden Nager und  Insekten in den alten Gemäuern  Unterschlupf. Die Staubberge  wachsen, Spinnweben vervollständigen die Kulisse der Vergessenheit.“ Der hochwertige Band enthält traurig-schöne Aufnahmen von „Lost Places“ hauptsächlich aus Frankreich und Italien, jeweils drei Stätten aus Belgien, Portugal und Deutschland, darunter eine Kirche in Sachsen und eine Krypta in Thüringen. Konkrete Ortsangaben fehlen allerdings, um keine Neugierigen anzulocken, die womöglich den Verfallsprozeß noch beschleunigen. Ergänzt werden die Fotos um kurze assoziative Texte.


Chinesische Redewendung: „Gute Menschen werden betrogen, so wie man gute Pferde zuschanden reitet.“


Nächtens mal wieder die „Messa da Requiem“ gehört, Giuseppe Verdis Vertonung des Textes der katholischen Totenmesse, weil das Seelenheil danach verlangte. Seit vielen Jahren höre ich das Stück vorzugsweise gern live in einem Konzertsaal (Streifzüge vom 27. März 2015), doch in diesen verdammten Conona-Zeiten bleibt nur die Konserve. Ich wähle eine Aufnahme aus dem Jahr 1967 mit Joan Sutherland, Luciano Pavarotti, Marilyn Horne und Matti Tavela sowie den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Georg Solti. Vor allem die australische Koloratursopranistin Sutherland (damals 41) und der italienische Tenor Pavarotti (damals mit 32 Jahren gerade auf den ersten Sprossen seiner Karriereleiter) verleihen der theatralischen Wucht dieser „Oper im Kirchengewande“ (Hans von Bülow) Nachdruck. Das mag Verdi so nicht gewollt haben; ich empfehle diese Einspielung.