© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Der holprige Weg zum Frieden
Am 28. Januar 1871 endete der Deutsch-Französische Krieg mit dem Waffentillstand / Friedensverhandlungen dauerten bis in den Mai
Dag Krienen

Nach Einschließung der „Rheinarmee“ in Metz und der Vernichtung der „Armee von Châlons“ bei Sedan am 1. und 2. September 1870 war das französische Feldheer praktisch ausgeschaltet und mit Kaiser Napoleon III. das gegnerische Staatoberhaupt in deutsche Hand gefallen. Nach den überlieferten Regeln der Kriegskunst war, so glaubte der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke, der Krieg militärisch entschieden. Doch er irrte sich. Die „provisorische Regierung“ der am 4. September ausgerufenen Republik kündete die Fortsetzung des Krieges „à outrance“ (bis zum Äußersten) an. Der starke Mann der Regierung, der neue Innen- und Kriegsminister Léon Gambetta, organisierte die Aufstellung neuer Truppen in den unbesetzt gebliebenen Provinzen Frankreichs. Diese sollten die Deutschen noch bis zum Januar 1871 militärisch unter Druck setzen (JF 44/20). 

Otto von Bismarck hatte auf dem Weg zur Beendigung des Krieges neben den militärischen mit mehreren politischen Problemen zu kämpfen. So wünschte er, anders als Moltke, keine völlige militärische Niederwerfung Frankreichs mit anschließendem Diktatfrieden, sondern einen Verhandlungsfrieden. Das Land sollte zwar das Elsaß und Teile Lothringens abtreten sowie eine Kriegsentschädigung zahlen, aber als ein in seiner Souveränität nicht eingeschränkter, wenn auch etwas zurechtgestutzter Mitspieler im Konzert der europäischen Großmächte erhalten bleiben. 

Das entsprach sowohl der persönlichen Neigung Bismarcks als auch seiner politischen Erwägung, daß die anderen Großmächte eine solche mäßige Verschiebung im europäischen Gleichgewicht eher würden tolerieren können als die völlige Degradierung Frankreichs. 

Was Bismarck ebenfalls fürchtete, war ein Vermittlungsfrieden durch eine Konferenz der neutralen Mächte. Ein solcher war mit dem Risiko behaftet, daß er die Annexion Elsaß-Lothringens hätte verhindern oder gar in die Gestaltung der deutschen Einheit eingreifen können. Um eine gemeinsame Aktion der neutralen Mächte zu verhindern, ermunterte Bismarck unter anderem Rußland dazu, einseitig die diskriminierenden Pontusklauseln (die die Neutralisierung des Schwarzen Meeres vorschrieben und Rußland dort die Stationierung nennenswerter Seestreitkräfte untersagten) aus dem Pariser Frieden von 1856 nach dem verlorenen Krimkrieg zu kündigen. 

Elsaß-Lothringen stellte den großen Streitpunkt dar

Für einen Verhandlungsfrieden brauchte Bismarck zudem einen Partner auf französischer Seite, der im eigenen Land die Friedensbedingungen nicht nur zu akzeptieren, sondern auch durchzusetzen willens und in der Lage war. Er hielt deshalb bis zum Ende auch mit der im Londoner Exil befindlichen Kaiserin-Regentin Eugénie Kontakt, da er eine Restitution des napoleonischen Regimes nicht für ausgeschlossen und in mancher Hinsicht auch wünschenswert hielt. 

Am 19. September, dem Tag, an dem die deutschen Armeen Paris einschlossen, traf er sich aber auch mit dem neuen Außenminister der Republik, Jules Favre. Favre hatte bereits zuvor allen europäischen Regierungen verkündet, daß Frankreich „kein Zollbreit unseren Gebietes, keinen Stein unserer Festungen abtreten werde“, und bot nun bei einem Frieden ohne Gebietsabtretungen eine Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Francs an. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die deutsche Führung bereits darauf festgelegt, die Abtretung des Elsaß und Teile Lothringens mit Metz zu fordern. Nicht, weil deren Bewohner überwiegend Deutsch sprachen oder um historisches Unrecht aus den Aggressionkriegen von Ludwig XIV. bis zu Napoleon zu sühnen, was Bismarck für eine bloße „Professorenidee“ hielt. Ihn überzeugte vielmehr das Argument, daß dadurch das Rheingebiet und Süddeutschland besser gegen zukünftige französische Aggressionen gesichert waren.

Die Verhandlungen mit Favre scheiterten an der Frage der Gebietsabtretungen. Im November kam es zu neuen Verhandlungen mit dem Sondergesandten Adolphe Thiers über einen mehrwöchigen Waffenstillstand. Er sollte es ermöglichen, durch die landesweite Wahl einer neuen Nationalversammlung die bislang ja nur provisorische durch eine von der ganzen Nation gewählte neue Regierung zu ersetzen. Bismarck war ein derart autorisierter Partner für einen Friedensschluß sehr erwünscht. Die Verhandlungen mit Thiers scheiterten indes an der Frage der militärischen Kompensationen, die die Deutschen für die Gewährung des Waffenstillstands verlangten.

Am 28. Januar wurde der Waffenstillstand vereinbart

Erst als im Januar 1871 nach neuen schweren Niederlagen die Kampfmoral der Franzosen zusammenbrach und in Paris die letzten Nahrungsmittelvorräte erschöpft waren, bat Favre Bismarck am 23. Januar erneut um einen mehrwöchigen Waffenstillstand, um Paris zu versorgen und die landesweite Wahl einer neuen Gesetzgebenden Versammlung zu ermöglichen. Dafür bot er diesmal die Kapitulation der Garnison samt der Übergabe aller Forts an. Bismarck war einverstanden, bestand jedoch darauf, daß der Waffenstillstand im ganzen Land gelten sollte. Er bildete damit die Basis für anschließende Friedensverhandlungen. Paris akzeptierte am 26. Januar die deutschen Bedingungen. Auf Bismarcks Initiative hin endeten die Feindseligkeiten am Morgen des 27. Januar, auch wenn der formal am 28. Januar abgeschlossene Waffenstillstand erst am 31. Januar begann. Der in Bordeaux weilende Gambetta lehnte das Abkommen ab. Doch als dort die Nachricht von der Auflösung und Internierung der letzten intakten französischen Armee in der Schweiz eintraf, trat er am 6. Februar zurück. 

Die neue Nationalversammlung wurde am 8. Februar landesweit, auch in den besetzten Gebieten, gewählt und trat am 15. in Bordeaux zusammen. Wie von Bismarck erwartet, stellten konservative, friedenswillige Kräfte darin die überwältigende Mehrheit. Sie wählten am 17. Februar Adolphe Thiers zum neuen Chef der Exekutive, der Favre als Außenminister übernahm. Thiers und Favre verhandelten ab dem 21. Februar in Versailles mit Bismarck. 

Dieser bestand auf der Abtretung von Elsaß-Lothringen, reduzierte aber die finanziellen Tributforderungen von sechs auf fünf Milliarden Francs, die in mehreren Raten bis zum März 1874 zu bezahlen waren. Auch den Verbleib der Stadt Belfort bei Frankreich gestand er zu. Dafür mußte Paris für drei Tage die Besetzung zweier Stadtteile sowie eine Siegesparade deutscher Truppen am Arc de Triomphe erdulden. Favre räumte später ein, daß es schlimmer hätte kommen können. Man habe wider Erwarten „mit keiner inneren Beschränkung unserer Heeresziffer, mit keiner Verminderung unserer Flotte gedroht“. Es gab keine Einschränkung der französischen Hoheitsrechte. Die „Friedenspräliminarien“ wurden am 26. Februar unterzeichnet und kurz darauf von der Nationalversammlung in Bordeaux ratifiziert.

Die folgenden, in Brüssel stattfindenden Verhandlungen über die Einzelheiten des endgültigen Friedensvertrags wurden von den Franzosen bewußt schleppend geführt, in der Hoffnung, daß die neutralen Mächte doch noch zu ihren Gunsten intervenieren würden. Bismarck drohte schließlich damit, den Waffenstillstand nicht mehr wie bisher zu verlängern und die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen. Die Regierung Thiers, deren Position durch den Aufstand der Pariser Commune von März bis Mai zusätzlich geschwächt war, gab nun jede Hinhaltetaktik auf. Der nach Deutschland geschickte Favre wurde mit Bismarck schnell handelseinig. Am 10. Mai 1871 unterzeichneten sie in Frankfurt am Main den endgültigen Friedensvertrag. Dieser enthielt weitere kleinere deutsche Konzessionen.

Räumung Frankreichs erst nach den Reparationen

Nach dem Friedensschluß blieben zunächst viele Departements in Ostfrankreich von deutschen Truppen besetzt. Sie sollten vertragsgemäß Zug um Zug mit der Bezahlung der Raten der Kriegsentschädigung geräumt werden. Bismarck wollte jedoch die Dauer der Besatzung möglichst kurz halten. Gegen französische Zollvergünstigungen wurden bereits im Herbst 1871 sowohl die Zahl der besetzten Departements auf sechs als auch die der Besatzungssoldaten auf 50.000 drastisch verkleinert. Nach der vorzeitigen Bezahlung der Kriegsentschädigung räumten die Deutschen 1873 die letzten vier besetzten Departements. Frankreich war damit wieder eine in vollem Umfang souveräne europäische Großmacht.