© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

„Die Situation ist dramatisch“
Brauwirtschaft: Die Corona-Krise hat weitreichende Auswirkungen auf die traditionsreiche Bierbranche / Historischer Umsatzeinbruch
Christian Schreiber

Fußballspiele ohne Fankurve, virtuelle Konzerte und Festivals ohne Zuschauer, kein Oktoberfest und Cannstatter Wasen, verbotene Volksfeste, abgesagte Messen und Ausstellungen, kein Karneval, geschlossene Kneipen, Restaurants, Clubs oder Diskotheken – das bringt nicht nur Gastronomen, Hotels, Künstler, Veranstalter und Hilfskräfte in Existenznot, sondern auch einen wichtigen Zweig der Lebensmittelwirtschaft und bedeutenden Arbeitgeber: die deutsche Braubranche.

„Die Situation ist dramatisch und in der Nachkriegszeit ohne Beispiel“, klagt Holger Eichele. „Je größer das Gastronomie- und Veranstaltungsgeschäft einer Brauerei, desto verheerender die Verluste“, so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes (DBB). Ausgerechnet im 150. Jubiläumsjahr des DBB beklagt das Gros der mittelständischen und handwerklichen Brauereien drastische Umsatzeinbrüche von bis zu 70 Prozent.

Mehr Flaschenbier ersetzt den Gastroverlust nicht

Im Schnitt hätten die befragten Brauereien mit Bier und Mischgetränken 2020 etwa 23 Prozent weniger umgesetzt als im Vorjahr. Wenn Bund und Länder ihre Hilfen nicht bald nachbessern, würden viele Betriebe die Corona-Krise nicht überstehen. Gut die Hälfte der Befragten erwarte, daß das Gastgewerbe 2021 nur 60 Prozent des normalen Umsatzes der Vorjahre 2018/2019 erwirtschaften werde. Nur jeder fünfte rechne damit, daß 70 oder 80 Prozent möglich sein werden.

Allerdings sei der Pro-Kopf-Bierkonsum in Deutschland laut DBB-Schätzung 2020 nur um fünf auf 95 Liter eingebrochen – es wurde mehr zu Hause getrunken, offenbar nicht nur von Erwerbslosen und Kurzarbeitern, sondern auch im Homeoffice. Während das Geschäft mit Faßbier zeitweise vollständig zum Erliegen kam, legte der Verkauf von Flaschenbier bei einigen Brauereien aber sogar zu. Satte 16 Prozent Einbußen mußte Warsteiner hinnehmen, 14 Prozent König Pilsener. Acht Prozent waren es beim Mutterhaus Bitburger.

Marken wie Becks, die eher im Einzelhandel verkauft werden, kamen besser durch den Lockdown. „In der Flaschenabfüllung haben wir in diesem Jahr unter Vollast gearbeitet, während daneben die Faßbierabfüllung monatelang stillstand“, erklärte Veltins-Chef Michael Huber in der FAZ. Mönchshof, Jever oder Augustiner konnten ihren Bierabsatz sogar merklich steigern. Ähnliches gilt wohl auch für die Eigenmarken von Aldi, Lidl & Co., wo die Halbliter-Dose oder Plastikflasche unter 30 Cent auf der Palette steht. Allerdings dürfte sich die „Flurbereinigung“ auf dem Biermarkt verschärfen. Großkonzerne können lange durchhalten, regionale Brauereien, die ihre Erzeugnisse in eigenen Gasthäusern oder auf Dorffesten verkaufen, nicht.

„Den ersten Gastro-Lockdown konnten die handwerklichen und mittelständischen Brauereien dank finanzieller Rücklagen zumeist noch überstehen, der zweite Lockdown aber bringt jetzt viele Betriebe an die Grenzen ihrer Existenz“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung vom DBB und dem konkurrierenden Verband der Privaten Brauereien Deutschland (VPB). Der gestiegene Handelsumsatz könne den Wegfall des Gastrogeschäftes nicht annähernd ausgleichen. Zudem seien den Brauereien auch als Verpächter von Gaststätten Millioneneinbußen entstanden.

Erste Geschäftsaufgaben gab es bereits: Die Wernecker Brauerei existierte seit über 400 Jahren. Das Familienunternehmen hatte zwei Weltkriege, Revolutionen und viele Krisen überlebt. Ende September zwang Corona die Brauerei in die Knie: „Wir haben keine Kraft mehr“, teilte die Junior-Chefin Christine Lang mit. Im Dezember erfolgte die Versteigerung des Firmeninventars.

Eine Woche vor Weihnachten beantragte die Brauerei Bischoff in Winnweiler im pfälzischen Donnersbergkreis ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Von den 1.548 registrierten Brauereien in Deutschland produzieren über 70 Prozent weniger als 5.000 Hektoliter pro Jahr. Der weltgrößte Bierbrauer Anheuser-Busch hat die Bremer Traditionsmarke Beck`s, die Altbier-Marke Diebels, Hasseröder aus Wernigerode und die Spaten-Löwenbräu-Gruppe übernommen. Die Nummer zwei der Weltbranche, die niederländische Heineken N.V., hält 30 Prozent der Anteile an der Paulaner-Gruppe. Und der dänische Carlsberg-Konzern besitzt die deutschen Marken Holsten, Astra und Hannen Alt. Corona könnte den deutschen Biermarkt völlig umkrempeln.

Und laut dem Nürnberger Marktforschungsinstitut GfK stieg der Absatz von Wein und Spirituosen wie Gin oder Korn für zu Hause dreimal so stark wie der entsprechende Bierabsatz. Und der Absatz von Dosen und Einwegbierflaschen hat zugenommen: „Gerade die Discounter setzen besonders stark auf Einweg und unterlaufen damit die gesetzlichen Vorgaben“, beklagt die Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG). Über das neue Verpackungsgesetz, das seit 2019 in Kraft ist, will die Bundesregierung den Mehrweg-Anteil wieder steigern.

Wegen der Plastikgetränke-Sonderaktionen liege die Mehrwegquote aktuell bei 43 Prozent und damit weit unter der gesetzlichen Quote. Die Mehrweg-Allianz, bestehend aus der umstrittenen Umwelthilfe (DUH), dem VPB und dem Verband Pro Mehrweg, warnt Handel und Getränkeindustrie, daß sie nur noch wenig Zeit hätten, um die Mehrwegquote von 70 Prozent zu erreichen. Ansonsten drohe eine „Lenkungsabgabe“ von 20 Cent pro Plastikflasche oder Dose. Die Einweg-Produzenten konterten mit der Forderung, den gesetzlichen Schutz für Mehrweg zu beenden und Plastikflaschen und Getränkedosen als ökologisch gleichwertig zu betrachten – Glasflaschen verursachten bei Herstellung und längerem Transport angeblich mehr CO2-Ausstoß.

 www.bayerisches-bier.de

 www.private-brauereien.de

 brauer-bund.de