© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

„Wir brauchen ja schon Strom“
Energiepolitik: Der neue CDU-Chef Armin Laschet scheint ein Herz für AKWs, Kohlekumpel und Industriearbeiter zu haben / Heftige Kritik von Klimaschützern
Paul Leonhard

Vor 25 Jahren gehörte Armin Laschet zur „Pizza-Connection“ um Norbert Röttgen, Ronald Pofalla, Cem Özdemir, Antje Hermenau und Volker Beck, die im Bonner Edel-Italiener „Sassella“ eine demonstrative schwarz-grüne Annäherung zelebrierten. 2005 wurde der Linkskatholik als erster NRW-Integrationsminister „Türken-Armin“ genannt. Als Ministerpräsident verlangte Laschet 2018 eine „Leitkultur der Vielfalt“. Doch anders als CSU-Chef Markus Söder, der wie Greta Thunberg glaubt, „uns bleiben nur noch wenige Jahre, um eine Chance im Kampf gegen den Klimawandel zu haben“, könnte der neue CDU-Bundesvorsitzende in anderen Fragen überraschen.

Unter dem Motto „Wirtschaftsaufschwung nach Corona“ könnte ein Kanzler Laschet wohl den Doppelausstieg aus Atom und Kohle überdenken. Als früherer EU-Abgeordneter könnte er über eine realistische europäische Klimapolitik nachdenken. Alles Wahlkampfgeschwurbel? Nein, Klimapaniker trauen ihm das zu. Sie haben registriert, daß er auf dem CDU-Wahlparteitag eine Erkennungsmarke der Kohlekumpel präsentiert hat und daß in seinem Zehn-Punkte-Papier Klimaschutz und erneuerbare Energien nicht erwähnt wurden.

„Stillegungspfad“ für Kraftwerke abgenickt

Als NRW-Ministerpräsident hat er stets vor „überzogenen“ staatlichen Klima-Maßnahmen gewarnt, die die deutsche Wirtschaft benachteiligen: „Wenn die Stahlindustrie nach China abwandert und dann dort den Stahl produziert, ist dem Weltklima nicht gedient.“ Ein Argument, das grüne Aktivisten wie Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ (FFF) erzürnt: „Die klimapolitische Bilanz von Herrn Laschet ist ernüchternd.“ Angesichts der beschleunigten Erderhitzung dürften die Herausforderungen nicht als „Modernisierungsprojekt“ verklärt werden. Es gebe von Laschet keinen Plan, „die ökologischen Krisen unserer Zeit zu bekämpfen und die Pariser Klimaziele einzuhalten“, so FFF-Sprecher Nick Heubeck.

Der Spiegel stieß ins gleiche Horn: „Bisher deutet nichts darauf hin, daß ein Vorsitzender Armin Laschet zum Antreiber beim Klimaschutz werden wird.“ Zu sehr sei der Blick des Mannes aus Aachen „verengt auf die Risiken der Transformation und auf das, was vermeintlich alles nicht geht“. Für einen Kanzler in der klimapolitisch entscheidenden Dekade sei das aber zu wenig. Umgekehrt hieße das aber: Gut bezahlte Industriearbeiter in Deutschland können hoffen, nicht als aufstockende Dienstleister oder Hartz-IV-Empfänger ausgesondert zu werden.

Zwar hatte Laschet mit seinen Amtskollegen aus Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Bund/Länder-Einigung zum Kohleausstieg mitgetragen, aber so richtig wohl war ihm dabei offensichtlich nicht zumute. Er sprach pflichtschuldig von einem „Quantensprung für den Klimaschutz in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen“. Andererseits entgegnete er 2020 Klimaaktivisten, die die zu langen Laufzeiten für Kohlekraftwerke kritisierten: „Wir brauchen ja schon Strom.“ Er traute sich sogar, daran zu erinnern, daß Länder, die gute CO2-Werte hätten, weiterhin die Kernkraft als Stromerzeuger hätten. Nur Deutschland mache „gerade beides“, steige aus Kohle- und Atomenergie aus.

Von der Umsetzung des Sofortprogramms für die Braunkohleregionen ist in NRW bisher wenig zu spüren. Wie die wegfallenden Arbeitsplätze konkret kompensiert werden sollen, ist an Rhein und Ruhr unbekannt. Trotzdem wurde der von der Bundesregierung vorgestellte „Stillegungspfad für die Braunkohlekraftwerke in Deutschland“ auch von dem Bundeskanzler in spe abgenickt. Dieser sieht auch vor, daß 2026 und 2029 geprüft werden soll, ob einige Kraftwerke früher als 2030 abgeschaltet werden können. Auch der Hambacher Forst zwischen Köln und Aachen soll „entgegen der bisherigen Genehmigung nicht für den Tagebau in Anspruch genommen wird“. Genehmigt ist dagegen der Abriß von früheren Wohngebäuden zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II durch RWE Power in der rheinischen Ortschaft Lützerath.

„Bagger zerstören in NRW das Dorf Lützerath“

Hier lieferten sich vorige Woche etwa 50 „Klimaschützer“ ein Katz-und-Mausspiels mit der Polizei, als sie einen anfahrenden Tieflader besetzten und sich von den Beamten wegtragen ließen. „Während halb Deutschland rätselt, was von Laschet künftig zu erwarten ist, zerstören Bagger in NRW das Dorf Lützerath“, twitterte Luisa Neubauer. Greenpeace sekundierte: Laschet lasse „Dörfer für den Klimakiller Braunkohle zerstören“.

Konkrete Handlungsempfehlungen für Laschet gibt es vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Der grüne Lobbyverband hofft zwar auf eine „gute Zusammenarbeit für ambitionierten Klimaschutz und starke regionale Wertschöpfung“, mahnt aber auch an, daß Deutschland bei der Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Mobilität und Industrie wieder Taktgeber werden müsse. Die Ökoenergien hätten die Verantwortung im Stromsystem bereits übernommen und sich in der Krise der letzten Monate „global als krisenresistent erwiesen“, so der von Ex-Grünen-Chefin Simone Peter geführte BEE.

Da war schon wieder vergessen, daß in Europa am 8. Januar nur mit knapper Not ein Blackout verhindert worden war. In Rumänien hatte es Frequenz- und Netzprobleme gegeben. Erst nach einer Stunde war die Lage soweit stabilisiert, daß das gekappte südosteuropäische Teilnetz wieder synchronisiert werden konnte. Diese schwerste Störung im europäischen Stromnetz seit mehr als 14 Jahren zeige, daß Deutschland nicht davon ausgehen könne, „daß wir schon irgendwie aus dem europäischen Ausland versorgt werden, sollte es bei uns nicht ausreichend Strom geben“, warnte Christian Seyfert, Geschäftsführer des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Der volatile Wind- und Sonnenstrom führe dazu, daß die Stromnetze immer stärkeren Schwankungen ausgesetzt sind, warnt der Versorger Wien Energie. So habe sich die Zahl von Noteinsätzen von 15 auf bis zu 240 pro Jahr erhöht. Der Vorfall müsse allen eine Warnung sein.

Zwar hat der Bundestag am 13. Januar den „öffentlich-rechtlichen Vertrag zur Reduzierung und Beendigung der Braunkohleverstromung in Deutschland“ mit schwarz-roter Koalitionsmehrheit abgenickt. Er sieht Milliardenzahlungen für vorzeitige Stillegungen von Kraftwerksblöcken vor. Die Forderung der AfD-Bundestagsfraktion, daß „deutsche Kernkraftwerke gemäß den Zulassungsbestimmungen und unter Wegfall der Restlaufzeit- und Strommengenbegrenzungen in Betrieb bleiben dürfen“, scheint hingegen derzeit illusorisch. Aber zumindest eine Verzögerung des deutschen Doppelausstiegs aus Atom und Kohle ist nach Angela Merkel denkbar – denn in EU-Kreisen gilt Kernkraft, anders als Erdgas, als „CO2-frei“.

„Zehn-Punkte-Plan“ des neuen CDU-Chefs:  armin-laschet.de