© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

Grüner Marsch in den Blackout
Trotz zunehmendem Regelbedarf im Netz wird die Ökostromerzeugung weiter ausgebaut / Was darf künftig alles „abschaltbare Last“ sein?
Marc Schmidt

Am 8. Januar standen Europa und die Türkei um 14.05 Uhr kurz vor einem Zusammenbruch des Stromnetzes. In Rumänien wiesen Teilnetze eine Über- und Unterspannung auf, welche Eingriffe erforderlich machte. Eine Stunde lang kämpften die Netzbetreiber gegen den drohenden Blackout. Im Verbundnetz, das den für Deutschland existentiellen Stromtransfer ermöglicht, gingen Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Rumänien und die Türkei in einen Inselbetrieb.

Deren Netze wurden aus dem europäischen Verbund ausgekoppelt, Kraftwerke versorgten nur noch inländische Verbraucher. Die Netzschwankungen hatten weitere Auswirkungen: In Österreich etwa wechselten Krankenhäuser oder der Flughafen Wien-Schwechat in den Notstrombetrieb. In Frankreich und Italien wurde in Industriebetrieben, die als „abschaltbare Lasten“ gelten, die Stromversorgung unterbrochen.

Im Extremfall wäre auch Deutschland von umfangreichen Stromabschaltungen in einer „Netzinsel“ oder gar von einem Blackout betroffen gewesen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gab hingegen Entwarnung: In Deutschland sei „die Stromversorgung zu jedem Zeitpunkt sicher gewesen“. Das ist formal richtig, ein Ausfall in Rumänien trifft vor allem Südosteuropa. Aber bei einem vergleichbaren Szenario in Frankreich, Holland, Skandinavien oder der Tschechei sähe das anders aus.

Und im Sommer 2019 war es sogar an drei Tagen kritisch. Es gab im deutschen Netz zu wenig Strom, die Frequenz fiel merklich unter den Normalwert von 50 Hertz. Bis 2003 hielten sich Erzeugung und Verbrauch in etwa die Waage. Seither stieg die deutsche Energiehandelsbilanz. Im Saldo wird Energie aus Kern- und Kohlekraftwerken der Nachbarländer importiert, während Deutschland unregelmäßig überschüssigen Ökostrom zu Dumpingpreisen exportiert. Dies ist die Folge der steigenden Quote der schwankenden „erneuerbaren“ Stromproduktion aus immer mehr Anlagen – bei gleichzeitiger Abschaltung von AKW und Kohlemeilern.

Die subventionierte Abschaltung des nur fünf Jahre betriebenen Steinkohlekraftwerks Moorburg (JF 52/20) – dem letzten Grundlastkraftwerk zwischen der Elbe-Weser-Region und Dänemark – ist dabei besonders gefährlich, denn das AKW Krümmel ging schon vor zehn Jahren vom Netz. Je weniger Grundlast zur Verfügung stehen, desto höher ist die Abhängigkeit von Stromimporten bei Dunkelflauten – und desto höher ist der Bedarf bei der Netzsteuerung.

Im Notfall kann eine „Netzinsel“ Deutschland nur durch die zeitweise Abschaltung von industriellen Großverbrauchern gesichert werden, was die Schadenssumme nach einigen Stunden in den Milliardenbereich treibt. Grundsätzlich wird die Netzsteuerung mit der zunehmenden Zahl an dezentralen Ökoenergieanlagen immer aufwendiger und teurer. Die Kosten des Einspeisemanagements stiegen voriges Jahr auf 1,34 Milliarden Euro. Bezahlt wird das über die Netzentgelte im weltweit höchsten Strompreis.

Probleme beim privaten Endverbraucher „abladen“?

Lassen sich die Netzrisiken durch den Ökostrom beherrschen? Der teure und ineffiziente Ansatz, aus Ökoenergie Wasserstoff als Speichermedium zu produzieren und diesen zum Ausgleich von Schwankungen und zur Sicherstellung der Grundlast einzusetzen, ist bestenfalls Zukunftsmusik (JF 41/20). Größere Pumpspeicherwerke (JF 43/19) sind nur in einigen Gebirgsregionen denkbar. Die geplante Batteriespeichertechnologie kann kurzzeitige Leistungsschwankungen der Solar- und Windkraftwerke abfedern (JF 20/20).

Der Bestand an Gaskraftwerken ist weder bezüglich Technik noch von der Kapazität für die Problemstellung ausreichend. Die von Union, FDP und SPD umworbenen Grünen und der „Fridays for Future“-Nachwuchs halten Erdgas für einen „Klimakiller“. Die zur Netzstabilität beitragenden Hochspannungsleitungen zwischen den norddeutschen Windparks und Süddeutschland liegen weit hinter dem Zeitplan – obwohl 2022 der Atomausstieg vollendet wird und dann noch weniger Grundlastkapazität am Netz ist. Und das erfordert nun brachiale Maßnahmen.

Das Wirtschaftsministerium veröffentlichte hierzu einen Gesetzentwurf, der kommunalen Netzbetreibern Teile der Verantwortung für die bundesweite Netzstabilität zuschieben sollte. Großverbraucher wie Zement-, Aluminium- oder Stahlwerke sind auf der Mittelspannungsebene angeschlossen. Sie können durch die Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) seit 2013 automatisch oder manuell abgeschaltet werden.

Für diese Ausfälle gibt es Geld: „Der Leistungspreis darf jedoch höchstens 500 Euro pro Megawatt Abschaltleistung betragen. Der Arbeitspreis darf höchstens 400 Euro pro Megawattstunde betragen“, heißt es in der AbLaV. Nun sollten die Stadtwerke zur „Spitzenlastglättung“ den Betrieb von Nachtspeicherheizungen und Wärmepumpen sowie das Laden von E-Autos bis zu zwei Stunden unterbrechen. Nach dreitägiger Kritik aus der Öko-Szene, die in der Corona- und Trump-Aufregung unterging, ließ Minister Altmaier verlauten, dies wäre ein unabgestimmter Entwurf gewesen.

Doch der Gesetzentwurf sollte ein Problem der Ökostromerzeugung auf den oberen Spannungsebenen beim privaten Endverbraucher „abladen“. Mit Ladezeitverlängerungen durch Unterbrechung ließe sich aber nur ein überregionaler meßbarer Effekt erzielen, wenn tatsächlich mehr E-Autos betroffen wären als auf absehbare Zeit in ganz Deutschland zugelassen sind. Und was ist, wenn die Aufladung nicht mehr für den Weg zur Arbeit reicht? Auch ein kalter Nachtspeicherofen oder eine abgeschaltete Wärmepumpe dürfte für Ärger beim Wähler sorgen.

Hinzu kommt: Die Standorte der kleinen „abschaltbaren Lasten“ sind dem Netzbetreiber zwar bekannt, aber es existiert weder in den Netzen noch in den Geräten eine technische Möglichkeit, diese per Knopfdruck aus einer Zentrale gezielt temporär abzuschalten. Die Masse der Stadtwerke wäre mit der Umsetzung der Maßnahmen personell und technisch überfordert, entsprechende Investitionen und Folgekosten würden den Strompreis allerdings weiter treiben, statt einen Beitrag zur Senkung durch Verbrauchsglättung zu leisten.

Das Grundproblem wäre durch den zurückgenommenen Gesetzentwurf nicht ansatzweise gelöst worden. Politik und Verbände werden weiter über Komfort und den lokalen Netzausbau diskutieren, aber das steigende Risiko für die Versorgungssicherheit aus dem Ausbaupfad der erneuerbaren Energien weiter sträflich ignorieren – bis wirklich der Blackout gekommen ist.

Daten zur Versorgungssicherheit: www.bundesnetzagentur.de

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Ratgeber für die Notfallvorsorge

Am 19. Februar 2019 durchtrennte ein Baggerführer in Berlin-Köpenick zwei 110-Kilovolt-Kabel – etwa 31.000 Haushalte hatten danach keinen Strom, auch Wasser, Heizung und Mobilfunk fielen teilweise aus. Wäre der Blackout bei minus 20 Grad Celsius und europaweit vorgekommen, wären die Folgen unabsehbar gewesen (JF 48/19), und die Schadensbehebung hätte sicher länger als 31 Stunden gedauert. „Wer vorsorgt, ist besser für einen Stromausfall gewappnet“, sagt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Mit Kerzen, Streichhölzern, Taschenlampen, Solarladegerät, Batterien und Radio sowie ausreichend Trinkwasser, haltbaren Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Arzneien sei man gut gerüstet. Der „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“ sollte als Broschüre im Haus sein, denn ohne Strom gibt es kein Internet. Auch ein voller Autotank ist dann sicher Gold wert. Und „wenn Sie sich und Ihren Nachbarn selbst helfen können, sind Sie klar im Vorteil“, meint das BBK. (fis)

 bbk.bund.de