© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Lederers Legenden
Untersuchungsausschuß im „Fall Knabe“: Hat Berlins Kultursenator den Abgeordneten bewußt die Unwahrheit gesagt? / Opposition wittert Intrige
Werner Becker

Im rot-rot-grünen Berliner Senat läuft es derzeit nicht rund. Innensenator Andreas Geisel (SPD) serviert verärgert einen Referatsleiter ab, da ein Mitarbeiter seines Nachrichtendienstes der AfD Verfassungstreue attestiert hatte (JF 5/21), Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) verursacht Chaos wegen einer angeblichen Impfstoffproduktion in Berlin (siehe Seite 5). Und jetzt auch noch Lügen-Vorwürfe gegen Kultursenator Klaus Lederer. Was ist da los?

Der Linken-Politiker mußte jetzt im Abgeordnetenhaus kleinlaut einräumen, im Untersuchungsausschuß Hohenschönhausen möglicherweise falsch ausgesagt zu haben (JF47/20). „Es ist grundsätzlich so, und zwar bei allen Menschen, daß das Erinnern an Dinge, die in der Vergangenheit liegen, sich als falsch herausstellen kann. Das kann jedem passieren“. Konsternierte Gesichter bei seinen Parteigenossen in der Fraktion, da der 46jährige doch als Bürgermeisterkandidat für die Abgeordnetenhauswahl am 26. September nominiert ist. Dem promovierten Juristen dürfte bekannt sein, daß „uneidlich falsche Aussage“ mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht ist.

Rauswurf von langer Hand geplant?

So weht dem alerten Salon-Linken der politische Wind unvermittelt ins Gesicht. Im Herbst 2018 hatte er gemeinsam mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) dafür gesorgt, daß der antitotalitäre Historiker Hubertus Knabe als Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen seines Amtes enthoben wurde (JF 46/18). Der von einigen Volontärinnen erhobene Vorwurf der sexuellen Belästigung galt freilich nicht Knabe selbst, sondern seinem Stellvertreter. Gegen den Vize sei er als Vorgesetzter nicht entschieden genug vorgegangen, lautete der Vorwurf des Senators, der wiederum dessen Vorgesetzter ist. Knabe könne deshalb den „dringend notwendigen Kulturwandel“ in der Gedenkstätte nicht einleiten. Den organisiert jetzt der unauffällige Knabe-Nachfolger Helge Heidemeyer.

Die Umstände von Knabes arbeitsrechtlicher Entsorgung schienen bisher politisch fragwürdig, aber rechtsstaatlich einwandfrei, wären da nicht auf einmal widersprüchliche Äußerungen Lederers vor dem Untersuchungsausschuß bekanntgeworden. In der Anhörung im Mai 2020 hatte er ausgesagt, von der Beschwerde einer Volontärin erst im Januar 2018 erfahren zu haben. Vorher sei die „Arbeitsebene“ zuständig gewesen. Seine Frauenbeauftragte korrigierte jetzt ihren Dienstherrn. Am Dienstag vergangener Woche gab die verunsicherte Frau vor dem Untersuchungsausschuß zu Protokoll, der Senator sei bereits ab Mitte Dezember 2017 auch durch sie persönlich über die Angelegenheit informiert worden. Nur eine kleine Unstimmigkeit? Ein terminliches Versehen ohne Bedeutung? Bereits im Oktober hatte die Opposition, also CDU, AfD und FDP, dem Senator Täuschung vorgeworfen, da er dem Ausschuß Akten vorenthalte. Diese würden belegen, daß Knabes Rauswurf von langer Hand geplant war. In der Tat suchte die Senatsverwaltung ab Jahresbeginn 2018 gezielt nach Schwächen und Fehlern in der Amtsführung des sperrigen Direktors, der immer wieder die Verbrechen der SED, der Vorgängerpartei der Linken, anprangerte und ihr eine Verharmlosung der Stasi-Verbrechen vorwarf. Zum Verdruß Lederers und seiner Partei.

Die neuerlichen Widersprüche bestätigen nach Ansicht des AfD-Abgeordneten Martin Trefzer, daß Knabe Opfer einer Intrige geworden ist. Lederer habe die Volontärinnen benutzt, um einen politisch unliebsamen Historiker kaltzustellen, betonte der Obmann im Untersuchungsausschuß gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Auch die Frauenbeauftragte der Senatskulturverwaltung habe sich dafür einspannen lassen. Lederer müsse deshalb ein zweites Mal vor den Ausschuß zitiert werden. Die Arbeit des Gremiums wurde inzwischen bis zum 31. März verlängert.

Zum Ärger der rot-rot-grünen Mehrheit im Ausschuß, die ob des näher rückenden Wahlkampfs zunehmend nervöser wird. Zumal jetzt auch die CDU, deren zwei Abgeordnete zunächst eher lustlos Fragen stellten, auf Angriff umgestellt hat. Soeben hat sie einen Katalog mit zehn dringenden Fragen an den Senator gerichtet, will wissen, „welche Folgen die Falschaussage des Kultursenators vor dem Untersuchungsausschuß hat“. 

Auch SPD, Linke und Grüne haben inzwischen ihre Taktik geändert. Seit einiger Zeit geht es ihnen um ein angebliches „Organisationsverschulden“ Knabes im Umgang mit seinen Mitarbeitern. Da der von ihm seinerzeit eingeschaltete Staatsanwalt keinen strafrechtlichen Verstoß hat feststellen können und deshalb auch sein Vize-Direktor nicht wegen sexueller Übergriffe verurteilt worden ist, geht es den Regierungsparteien um mögliche Verletzungen nachrangiger Gesetze wie des Landesgleichstellungsgesetzes (LGG) und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).