© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Der 107-Millionen-Mal-Film über einen 1,1-
Milliarden-Euro-Palast „Ein Palast für Putin“: Nawalnys jüngstes Enthüllungsvideo will belegen, daß sich der Kremlchef ein Prunkschloß an der Schwarzmeerküste hat bauen lassen – durch Korruption
Christian Rudolf

Man muß wohl Russe sein, um ein solches Husarenstück hinzulegen. Der Popstar der Opposition Alexej Nawalny überlebt einen Nowitschok-Mordanschlag mit knapper Not, gesundet in Deutschland, kehrt in die gefährliche Heimat zurück, wird erwartungsgemäß eingesperrt und wirft dennoch dem Staatspräsidenten Wladimir Putin, in dem er seinen Todfeind vermuten muß, via Youtube den Fehdehandschuh hin. Der Recherchefilm „Ein Palast für Putin. Die Geschichte der größten Bestechung“ ist eine Kampfansage und zeigt Nawalny als Alphatier, mit dem noch zu rechnen sei. Seit Veröffentlichung am 19. Januar wurde die Doku über 107 Millionen Mal aufgerufen. Von dem Film über den mutmaßlich gigantischen Korruptionsfall an der Staatsspitze spricht in diesen Tagen halb Rußland – einschließlich des Kremlchefs, der sich zu einem Dementi genötigt sah: Der Immobilienkomplex habe weder ihm noch seiner Familie je gehört. Putins enger Vertrauter und Ex-Judopartner, der schwerreiche Oligarch Arkadi Rotenberg, erklärte zwischenzeitlich, er sei Begünstigter der Anlage. Derzeit dauerten die Arbeiten für den Bau eines Hotels an.

Nawalny erklärt seit Jahren in Videos, wie Rußland von seinen Eliten ausgeraubt werde. Frühere Filme von Nawalnys Stiftung zur Bekämpfung der Korruption (FBK) thematisierten Amtsmißbrauch und Verbindungen hoher russischer Minister und Staatsbeamter mit der organisierten Kriminalität.

Besitzverhältnisse gezielt verschleiert

Mit dem neuen Enthüllungsvideo sticht Nawalny nun ins Auge des Taifuns. Putin habe sich mit krimineller Energie ein Luxusanwesen an der russischen Schwarzmeerküste errichten lassen, dessen Dimensionen nur in Superlativen zu beschreiben ist. Mehr noch: „Der Präsident Rußlands ist psychisch nicht gesund, er ist besessen von Reichtum und Luxus“, sagt Nawalny im Video. Der Palast im Italianate-Stil beherberge auf 17.691 Quadratmetern prunkvolle Säle, möbliert mit sündhaft teuren italienischen Möbeln im Empire-Stil, dazu Theater, Diskothek, eine Vergnügungsstätte im Rotlichtstil, marmorne Spa-Bereiche. Stuck, Prunk und Luxus, wohin das Auge blicke. Ein Toilettenpapierhalter nebst Klobürste habe zusammen 1.740 Euro gekostet – „die durchschnittliche Jahresrente eines russischen Pensionisten“, wie Nawalny nicht versäumt vorzurechnen, schließlich ist der Streifen auch Werbung für seine politische Karriere. Umgerechnet 1,1 Milliarden Euro aus Korruption und Veruntreuung habe die Anlage verschlungen, deren Besitzverhältnisse gezielt verschleiert worden sein sollen.

Das Nawalny zufolge 67,8 Hektar große Areal bei Gelendschik liege umgeben von ausgedehnten Weingütern – und werde mit hoher Mauer und Kontrollpunkten beschirmt wie eine Staatsresidenz. „Wenn man uns weismachen wolle, der Palast gehöre irgendeinem Geschäftsmann: eine freche Lüge“, so Nawalny. Denn: Für solche richte man keine Überflugverbotszonen ein, sperre nicht die Meeresküste ab, und nicht der FSB bewache ihre Grundstücke. „Das ist eine ganze Stadt, oder besser: ein Königreich. In diesem gibt es nur einen Zaren.“

Vorwürfe und Fotos zu „Putins Palast“ sind nicht prinzipiell neu. 2011 publizierte die Nowaja Gazeta das Vertragswerk zum Bau des Anwesens, das vom Immobilienverwalter des Kreml, Wladimir Koschin, unterzeichnet worden war. Neu ist die Fülle von Details und Dokumenten, von Bauplänen, Grundbucheinträgen und Rechnungen, Namen von Putin-Vertrauten und Strohmännern, wechselnden Besitzern und gleichbleibenden Verwaltern, Schemata von Scheinfirmen für Geldwäsche.

Erstaunlich, daß es Nawalnys Team gelang, eine Drohne über dem Palast kreisen zu lassen oder an geheime Unterlagen zu kommen. Sollte hinter dem 44jährigen ein „anderer Kremlturm“ stehen, wie die Rußlandkenner Sabine Adler und Alexander Rahr übereinstimmend in Moskau kursierende Gerüchte auf den Begriff brachten, er also Verbündete in höchsten Kreisen habe? Das hieße, daß der Kremlchef seinen „Laden“ nicht mehr unter Kontrolle hätte.

Nawalnys Moderation des Streifens wurde im Dezember unter strenger Geheimhaltung in den Blackforest Studios im Schwarzwaldort Kirchzarten aufgenommen, die Herstellung übernahm eine Produktionsgesellschaft in Los Angeles. Bei den 3D-Visualisierungen von Palastfassaden und Innenräumen unterlief den Machern unterdessen eine mehr als peinliche Schlamperei: Über dem Tor des Haupteingangs und in einem Aufzug prangt – das Wappen der Republik Montenegro, das dem russischen sehr ähnelt. In die Flanke stieß das russische Außenministerium, das in einer Twitterbotschaft über den „amerikanisch-deutschen ‘Film’“ genüßlich auf diesen Umstand hinwies.

Vorwürfe der Unterschlagung kamen schon 1992 während Putins Petersburger Jahren als Vize von Bürgermeister Anatoli Sobtschak auf. So hat Nawalnys jüngster Coup mehr zum Thema als den protzigen Palast: Putins früh entwickelte Lebensprinzipien, die „heute Grundlagen des russischen Staates“ seien. „Erstens: Lüge und Heuchelei als die effektivste Arbeitsmethode, zweitens: Korruption als Grundlage von Vertrauen – deine besten Freunde sind die, die viele Jahre mit dir zusammen rauben und betrügen, drittens: Geld kann man nie genug haben.“ Der Palast sei also, so legt Nawalny nahe, nicht nur ein Gebäude, sondern ein „Symbol der zwanzigjährigen Herrschaft Putins“.

„Ein Palast für Putin“ (Russisch mit englischen Untertiteln):  www.youtube.com