© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Liliputaner schlagen Heuschrecken
Gamestop: Wallstreet-Zocker lösen Ängste vor einem Aktiencrash aus / Milliardenverluste bei Leerverkäufern
Thomas Kirchner

Der Zwischenstand im Krieg zwischen Liliputanern in Internetforen und Gulliver, den großen Hedgefonds, um GameStop-Aktien lautet 1 zu 0. Das Geschäftsmodell der US-Firma, in Einkaufszentren Konsolen- und PC-Spiele zu verkaufen, wird durch das Internet bedrängt. Spötter redeten schon von „Gain Stop“ (Gewinnbegrenzung).

Voriges Jahr machte die Firma, deren Europazentrale sich in Memmingen befindet, 470 Millionen Verlust – bei einem Umsatz von 6,5 Milliarden Dollar. Der Umsatz hat sich in fünf Jahren halbiert, Hunderte Filialen wurden geschlossen. Viele sehen Parallelen zu Video- und DVD-Verleihen, die fast alle in der Insolvenz endeten.

Bestimmte Hedgefonds setzten bei GameStop-Aktien durch „Short Selling“ auf fallende Kurse. Dabei leiht sich der Leerverkäufer eine Aktie, und verkauft sie. Will der Verleiher die Aktie zurück, muß der Leerverkäufer liefern. Geschieht dies zu einem niedrigeren Kurs, realisiert der Hedgefonds einen Gewinn, bei einem höheren Kurs einen Verlust. Da der Kursanstieg theoretisch unbegrenzt ist, können Verluste das Kapital des Leerverkäufers aufzehren und sogar übersteigen. Darüber hinaus erhält der Verleiher eine Gebühr, die bei manchen Aktien 100 Prozent des Aktienkurses pro Jahr betragen kann.

Nur wenige Spezialisten meistern diese riskante Strategie. Bei Wirecard hatte sich aber gezeigt, daß Hegdefinds sorgfältiger arbeiten als die deutsche Finanzaufsicht BaFin. Im Fall GameStop hingegen zeigte sich, daß zum Jahresende 141 Prozent der gesamten Aktien leerverkauft worden waren. Das bedeutet: Hedgefonds, die eine Aktie von einem Leerverkäufer erworben hatten, liehen sie einem weiteren Leerverkäufer weiter. Dementsprechend teuer waren die Leihzinsen: 25 Prozent pro Jahr. Doch Leerverkäufer sind die Buhmänner aller, die auf Kursgewinne hoffen.

Pessimisten, Optimisten und Realisten im Wettstreit

Internet-Diskussionsforen bieten Platz für Kritik – bis zu Verschwörungstheorien. Das Reddit-Forum „WallStreetBets“ wurde Plattform für Anleger, die den GameStop-Kurs hinterfragten. Bei unter drei Dollar im April 2020 war das Argument, der Kurs reflektiere zuviel Pessimismus für die nähere Zukunft. Aufwind bekamen die Optimisten, als Hedgefondsmanager Michael Burry, der in der Finanzkrise durch Leerverkäufe berühmt geworden war, GameStop-Aktien kaufte und die Firma zum Strategiewechsel aufrief.

Ryan Cohen, Gründer des Internetvertriebs Chewy für Haustierfutter, stieg auch ein und trat Anfang Januar in den Aufsichtsrat ein. Eine Verbesserung der Lage schien plötzlich realistisch. Die hohe Zahl der Leerverkäufe führte auf Reddit zu Diskussionen, es könne zu Kursexplosionen kommen, wenn alle Hedgefonds ihre Aktien gleichzeitig mit hohen Verlusten zurückkaufen müßten. Das erwies sich als richtig: die Liliputaner zwangen Hedgefonds-Gulliver in die Knie. Der Ablauf der Reddit-Diskussion wird noch juristisch relevant werden: Sollten sich die Nutzer abgesprochen haben, eine Hausse auszulösen, wäre dies eine strafbare Marktmanipulation.

Beim Libor-Skandal, in dem Angestellte von Großbanken in Internetforen die Manipulation des Referenzzinssatzes Libor verabredeten, wurden Milliardenbußen und langjährige Freiheitsstrafen verhängt. Das wußten einige Nutzer, sie drückten sich daher vorsichtig aus: „Wenn alle Redditnutzer gleichzeitig kaufen würden, könnte der Kurs explodieren.“ Das ist keine verbotene Absprache, sondern eine Warnung vor Anlagerisiken. Doch viele Beiträge aus der Anfangsphase sind inzwischen gelöscht. Neuerdings gibt es Beiträge, in denen vor dem „Organisieren“ gewarnt wird – ein Indiz, daß es möglicherweise doch verbotene Absprachen gab.

Ob Absprachen oder nicht, die Meute witterte Blut: Am 13. Januar sprang die Aktie um 67 Prozent auf 31,40 Dollar, stieg dann eine Woche lang langsam auf 40. Am 22. Januar begann dann die Hausse bis zu einem kurzen Höchststand von 483 Dollar. Für Leerverkäufer war dies der GAU: Melvin Capital mußte nach Verlusten von 50 Prozent durch eine Kapitalspritze von 2,75 Milliarden Dollar von zwei anderen Hedgefonds gerettet werden. Robinhood, eine Börsenapp für Kleinanleger, bei der viele Reddit-Nutzer Kunden sind, mußte mit einem Notkredit von einer Milliarde gerettet werden. 

Denn Makler müssen Sicherheiten für Geschäfte ihrer Kunden hinterlegen. Auch Robinhood mußte Eigenkapital einsetzen, nicht Kundengelder. Die Sicherheiten steigen überproportional, wenn die Geschäfte der Kunden in wenigen Papieren konzentriert sind, und wenn die Aktien besonders stark schwanken – wie bei GameStop. Robinhood mußte drei Milliarden Dollar als Sicherheit hinterlegen, das Zehnfache der üblichen Summe und mehr als sein Eigenkapital. Um das eigene Überleben zu sichern, verbot die Firma ihren Kunden das Handeln in den stark nachgefragten Aktien.

Aussetzen des Handelns schützt vor Strafverfolgung

Die Finanzmarktregulierungen hätten fast zum Zusammenbruch eines Maklers geführt. Im Internet kursieren aber Verschwörungstheorien, nur Kleinanlegern sei der Handel verboten worden, nicht aber Hedgefonds. Dies ist nicht richtig: Auch Investmentbanken setzten den GameStop-Handel für ihre Kunden aus. Denn vor wenigen Jahren wurde eine Maklerfirma verurteilt, die Kundenaufträge weitergeleitet hatte, durch die Kurse manipuliert wurden. Das Aussetzen des Handelns bei bei GameStop schützte die Makler vor der US-Strafverfolgung.

Die linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez glaubt weiter, nur Privatanlegern sei der Handel verboten worden. Senatorin Elizabeth Warren schimpfte auf Hedgefonds, wich dann aber der Frage eines Reporters nach konkreten Manipulationen mit Werbung für eine Vermögenssteuer aus. Beide Demokratinnen fordern Anhörungen im US-Kongreß für den 18. Februar – wohl eher zur Selbstinszenierung statt zur Vereinfachung unsinniger Vorschriften, denn beide wurden von Joe Biden trotz ihrer Prominenz nicht für höhere Posten nominiert.

Ansonsten sehen Analysten den fundamentalen Unternehmenswert von GameStop bei nur 16 Dollar pro Aktie – schlecht für Möchtegern-Millionäre, die zu spät verkauften. Andere Reddit-Liliputaner ziehen inzwischen weiter: Sie hoffen, eine Hausse bei Silber auslösen zu können. Seit März 2020 hat sich der Preis immerhin verdoppelt.

 www.reddit.com

 Kommentar Seite 2





Wirtschaftskrimi Porsche gegen VW

Leerverkäufer spielten nicht nur bei Wirecard, Tesla oder Gamestop eine Rolle, sondern auch bei einer Old-Economy-Schlacht: Mitten in der Weltfinanzkrise wollte Porsche die schwächelnde Volkswagen AG übernehmen. Als Porsche-Chef Wendelin Wiedeking das am 26. Oktober 2008 verkündet, löst das einen rasanten Kursanstieg der VW-Stammaktie von 200 auf mehr als 1.000 Euro aus. Hedgefonds wie Glenhill Capital oder Viking Global, die mit geliehenen VW-Aktien auf fallende Kurse spekuliert hatten, erwischte das hart – sie erlitten einen Milliardenverlust. Die Amerikaner mutmaßten, Wiedeking habe die vollständige Übernahme von VW bereits im Frühjahr 2008 geplant, sie aber erst im Herbst öffentlich gemacht. Das Landgericht Stuttgart entschied 2014 jedoch anders: Alles sei legal abgelaufen. Dennoch klappte der Plan nicht: Die Übernahmeschlacht trieb Porsche in die Verschuldung. Seit 2012 ist Porsche in das operative Geschäft des VW-Konzerns integriert. Und die Porsche Automobil Holding SE ist mit Katar und Nieder­sachsen ein stabiler Ankeraktionär, vor dem Hedgefonds Respekt haben. (fis)