© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Rücktritt fällig
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: Nicht nur in der Corona-Krise geht bei ihr vieles schief, auch ihr politischer Werdegang ist mit Flops verbunden
Albrecht Rothacher

Anfang der Woche wollte es  EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Kritikern zeigen. „Wir arbeiten mit Pharmaunternehmen zusammen, um sicherzustellen, daß Impfstoffe an Europäer geliefert werden. Biontech und Pfizer werden im zweiten Quartal des Jahres 75 Millionen zusätzliche Dosen liefern – und insgesamt bis zu 600 Millionen im Jahr 2021“, twitterte sie voller Stolz. Stunden zuvor hatte die Ex-Verteidigungsministerin freudig verkündet, daß Astra Zeneca im ersten Quartal neun Millionen zusätzliche Dosen (insgesamt 40 Millionen) im Vergleich zum Angebot der Woche davor liefern und eine Woche früher als geplant mit der Lieferung beginnen werde.

Alles im grünen Bereich also? Mitnichten. „Bei all dem Beschaffungschaos und den Fehlern, die gemacht wurden, kann sich die Kommissionspräsidentin nicht länger wegducken“, betonte  SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gegenüber dem Spiegel. „Da werden Erinnerungen an ihren Führungsstil im Verteidigungsministerium wach.“

Im Juli 2019 wurde Ursula von der Leyen (VdL) zur Kommissionspräsidentin gewählt – von zwei Wählern. Die Kanzlerin schlug sie vor, und Emmanuel Macron war einverstanden, nachdem die Franzosen im Gegenzug mit Christine Lagarde die EZB kontrollieren durften. Die anderen 25 Regierungschefs nickten die Wahl ab, und das Europaparlament stimmte mit 374 Stimmen von 747 knapp und zähneknirschend zu, immerhin war „Spitzenkandidat“ Manfred Weber (CSU) von Merkel unelegant ausgebootet worden. „Deutschlands schlechteste Ministerin“ (Martin Schulz, SPD) hatte ihren Traumjob, nachdem Merkels Plan, sie zur Bundespräsidentin zu machen, anno 2010 durchgefallen war.

Die 1958 in Brüssel geborene Von der Leyen war Lieblingstochter von Ernst Albrecht, der dort als Kabinettschef des Ostpreußen Hans von der Groeben, des tüchtigen ersten Wettbewerbskommissars der EWG, Karriere gemacht hatte, bevor er Ministerpräsident in Niedersachsen wurde. Weil der Notendurchschnitt nach dem Abitur nicht reichte, begann sie erst einmal ein vierjähriges Bummelstudium der Archäologie und VWL, bis sie mit der Medizin anfing, ein Studium für das sie sage und schreibe insgesamt 30 Semester bis zur Promotion benötigte. In ihrer Dissertation, einem Werklein von 62 Seiten, das von Entspannungsbädern bei der Geburtenvorbereitung handelt, fanden sich später mindestens 32 nachweisbare Plagiate. 

Die Medizinische Hochschule Hannover gestattete ihr jedoch weiter die Führung des Doktortitels mit der kuriosen Begründung, die Arbeit sei nicht viel schlechter als andere schlechte medizinische Dissertationen. Auch weist ihr späterer Lebenslauf in den neunziger Jahren ein Studium an der Stanford-Universität in Kalifornien auf, mit dem peinlichen Schönheitsfehler, daß die Universität darauf erklärte, von ihrem Studium dort nichts zu wissen. 

Mit einem adligen Medizinprofessor und Unternehmer verheiratet, gebar die leidenschaftliche Herrenreiterin vorbildlich sieben Kinder. Da der große Haushalt reichlich Personal hatte, ging sie nach dem Abbruch ihrer Facharztausbildung im Jahr 2001 in die Kommunalpolitik. Schon zwei Jahre später hebelte sie mit ihrem Tochter-Bonus und der tatkräftigen Unterstützung der Bild-Zeitung den bisherigen Mandatsinhaber der CDU unsanft im alten Wahlkreis ihres Vaters aus und wurde nach ihrer Wahl in den Hannoverschen Landtag 2003 von Christian Wulff sogleich zur Sozialministerin bestellt. 

Männer brauchen sich bei ihr nicht zu bewerben

Die einzig überlieferte Leistung der Ministerin blieb die Streichung des Blindengeldes in Niedersachsen. Von ihrer Mentorin, Angela Merkel, wurde die Landesministerin schon zwei Jahre später zuerst zur Familien- und dann zur Sozialministerin befördert. Dabei tat sie sich durch eine zeitgeistige Gleichstellungspolitik, Pläne zur umfassenden Internet-Zensur, Forderungen zur Frauenquote, Pläne zum überstürzten bundesweiten Krippen- und Kitaausbau und gekaufter PR so hervor, daß sie Merkel 2013 zur Verteidigungsministerin machte. 

Fachfremd, lernunwillig und von Uniformträgern eingeschüchtert, verstärkte sich ihre jetzt auch in der EU-Kommission sichtbare Tendenz, dem Beamtenapparat zu mißtrauen, sich in ein Küchenkabinett mit einsamen Entschlüssen zurückzuziehen und eine ihr hörige Parallelverwaltung aufzuziehen.

 So engagierte sie die McKinsey-Managerin und Lesben-Aktivistin Katrin Suder als Staatssekretärin, die mit einer sündteuren, rechtswidrig angeheuerten Truppe jungforscher Konsulenten von McKinsey und Accenture am Beschaffungsamt vorbei freihändig Rüstungsaufträge vergab, zumal die Ministerin während ihrer sechsjährigen Amtszeit nicht einmal den Unterschied zwischen einem Sturmgewehr und einem MG begreifen wollte. 

Auf zwischen 100 und 150 Millionen Euro beliefen sich laut Bundesrechnungshof alljährlich die Kosten ihrer „Berateraffäre“, deren überteuerte Anschaffung etwa von Transporthubschraubern ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt auslöffeln muß. 

Beim unglücklichen Segelschulschiff „Gorch Fock“ verzehnfachten sich derweil die Reparaturkosten. Besuche bei der Truppe dienten nur als kurzzeitige Fototermine, so auch in Afghanistan, wo sie vor laufender Kamera der 53 gefallenen „Soldatinnen und Soldaten“ gedachte. Nur ist in Afghanistan bislang gottlob keine einzige Soldatin gefallen.

 Sehr ernsthaft schien das Gedenken der Ministerin also nicht gewesen zu sein. Nach zwei marginalen rechtsradikalen, von den Medien prompt skandalisierten, eher skurrilen „Vorfällen“ bescheinigte die Ministerin öffentlich der Truppe summarisch ein „Haltungsproblem“, ließ das Offizerskorps der betroffenen Einheiten und sämtliche Einrichtungen von Wehrmachtsbildern säubern und selbst Bilder von Widerstandskämpfern und von Helmut Schmidt in Uniform abhängen. 

Sie goß bei der damaligen Medienhysterie bewußt Öl ins Feuer, um sich auf Kosten der eigenen Leute politisch ultrakorrekt zu profilieren, was wohl die Tatsache überdecken sollte, daß unter anderem kein einziges U-Boot mehr einsatzfähig war. 

Neben der zunehmenden Diskussion über ihre Amtsführung entbrannte  immer heftiger werdende Kritik am Zustand der deutschen Streitkräfte. Denn die Zahlen, die das Verteidigungsministerium im Frühjahr 2018 über die aktuelle Materiallage in der 106 Seiten umfassenden Übersicht präsentierte, waren katastrophal. Das wird vor allem beim schweren Gerät deutlich: Demnach standen dem Heer im vergangenen Jahr von den 244 Leopard-2-Kampfpanzern lediglich durchschnittlich 176 Stück zur Verfügung. Vor ihrem Abgang aus Berlin, wen wundert es, gehörte sie auch zu den 70 CDU-Abgeordneten, die für die Homo-Ehe stimmten.

In Brüssel wiederholte sich ihr aus Berlin bekannter Führungsstil. Mit der Europapolitik und ihrer komplexen kompromißorientierten Entscheidungsfindung hatte sie bislang noch nie zu tun gehabt. Sie bunkerte sich mit ihrem aus Berlin importierten Kabinettschef namens Björn Seibert sofort ein, machte bombastische Ankündigungen zum europäischen „Green Deal“ in der vergeblichen Absicht, sich bei der Linken und den Grünen einzuschmeicheln und schottete sich von der eingespielten Expertise ihrer 30.000 Mann starken Beamtenschaft gründlich ab. 

So sind derzeit 15 Prozent aller Führungspositionen der Kommission unbesetzt, denn Von der Leyen, die den internen Auswahlverfahren mißtraut, will alle wichtigen Ernennungen selbst entscheiden und ist damit natürlich heillos überfordert. Männer brauchen sich ohnehin nicht zu bewerben. Auch müssen sich Kommissare ihre Dienstreisen und ihre Abwesenheit bei den Mittwochssitzungen der Kommission von ihr persönlich wie kleine Sachbearbeiter genehmigen lassen. 

Absolut humorfrei und absolut fleißig

Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, dem jovialen Luxemburger Jean-Claude Juncker, trinkt sie nicht, ist absolut humorfrei und enorm fleißig aus dem kühlen Grund, weil sie nicht delegieren kann. Ihr Stab und ihre Sekretärinnen müssen ihr deshalb in zwei Schichten zuarbeiten. Ihre Wohnung hat sie im Berlaymont neben ihrem Büro einbauen lassen, um Anfahrtswege und die Miete zu sparen. 

In der Corona-Krise ging dann im System Von der Leyen vorhersehbar alles schief, was schiefgehen konnte. Und in der Krise wurden ihre Fehlentscheidungen, die früher ihre Nachfolgerinnen ausbaden mußten, sofort im Scheinwerferlicht der Welt sichtbar. Ihr aktuelles Abtauchen hilft da wenig, denn der Impfstoffmangel wird noch einige Monate dauern. Und er wird mit jedem Tag schmerzlicher und mit 5.000 vermeidbaren täglichen Corona-Opfern in der EU tödlicher.

 Noch im November verkündete die Präsidentin vollmundig wie eh und je ihre „europäische Erfolgsgeschichte“: „Das ist Europas Moment!“ Dann erfolgten die angeblich milliardenfach kontraktierten Liefermengen verzögert in homöopathischen Dosen und brachten alle nationalen Impfpläne durcheinander, während die Impfpropaganda überall bereits auf vollen Touren angelaufen war.

Tatsächlich hatte die Präsidentin an den Fachabteilungen vorbei eine bisher vorher mit Handelsabkommen mit der Dritten Welt befaßte Direktorin mit den Verhandlungen mit der Pharmaindustrie betraut. Die Kommission bezuschußte sechs Unternehmen mit jeweils dreistelligen Millionenbeträgen als Forschungssubvention und begann dann mit ihnen monatelang über Preise und Haftungen zu feilschen, während Israelis, Amerikaner und Briten kurzentschlossen unterschrieben und sich so die ersten Großlieferungen sicherten. 

Plötzliche Exportverbote enden als Rohrkrepierer

Als Von der Leyen dann die Schuld auf die Pharmaunternehmen zu schieben suchte, stellte sich heraus, daß in den geschwärzten Geheimverträgen keine fixen Lieferverpflichtungen vereinbart worden waren. Aus Risikoscheu hatte sich die Kommission auch geweigert, Notzulassungen durch die Europäische Arzneimittelagentur zu beantragen.

Hatte die Präsidentin ursprünglich vollmundig verkündet, sie wolle auch die Nachbarländer und den armen Rest der Welt mit den überreichlich bestellten EU-Impfstoffen gratis beglücken, so packte sie kürzlich die Panik und verordnete als einsame Entscheidung plötzlich Exportverbote durch Grenzkontrollen, so auch an der inner-irischen Grenze ohne, den Regierungen in Dublin und London vorher Bescheid zu geben. Nach Protesten mußte das Verbot bald wieder aufgehoben werden.

Angesichts des Impfdesasters suchen sämtliche 27 EU-Regierungen dringend nach einem Sündenbock. Bei der Blenderin in Brüssel mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus Inkompetenz, Großsprechertum und hemmungslosem Opportunismus sind sie schnell fündig geworden, leider zu Recht. 

Es wäre nicht der erste Rücktritt eines Kommissionspräsidenten. Im März 1999 trat Jacques Santer, ein rechtschaffener Luxemburger, wegen eines vergleichsweise viel harmloseren „Vergehens“ zurück: Seine Forschungskommissarin Edith Cresson hatte einen befreundeten Zahnarzt als „Aids-Experten“ scheinbeschäftigt. Falls es diesmal binnen der nächsten Wochen zu keinem Rücktritt kommt, kann das Europaparlament sie mit einer Zweidrittelmehrheit abwählen.

 Mit ihrer formalistischen, eisigen Distanz und ihrem blechernen, mechanisch einstudierten Vortragsstil hat sie dort keine Freunde und keine Hausmacht, auch bei ihren eigenen EVP-Genossen nicht, deren Chef der um seinen Sieg betrogene Manfred Weber ist. Rache wird auch in der Politik am liebsten kalt genossen. 

Trotz ihres permanenten Anbiederns an die Linke haben Sozialisten und Grüne das Feuer bereits eröffnet. Von der Rechten hat sie eh keine Gnade zu erwarten. Schönreden wie bisher funktioniert nicht mehr. Diesmal wird ihre einzige Freundin in der Politik, Angela Merkel, die arme Uschi, die öffentlich zu viel Unheil angerichtet hat, nicht mehr retten können.