© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Terrorregime in der Neuen Welt
Der Entdecker und Sklavenhändler Christoph Kolumbus durch die „Black Lives Matter“-Brille betrachtet
Oliver Busch

Am 6. September 1492 segelten drei kleine spanische Karavellen von der Kanareninsel Gomera aus Richtung Westen, um Indien zu erreichen. Fünf Wochen später, am 12. Oktober, hörte die Besatzung des Flaggschiffs „Santa Maria“ den Ruf des Matrosen Rodrigo de Triana: „Land in Sicht.“ Was er sah, war die Küste einer Insel der Bahamas. Die bescheidene, vom spanischen Königspaar ausgelobte Pension, die ihm dafür zugestanden hätte, sackte jedoch der Admiral Christoph Kolumbus ein, der Leiter dieser Expedition, der designierte Vizekönig und Gouverneur der zu erobernden Territorien.  

Kolumbus wurde reich mit Sklaven von Hispaniola

Der Betrug an seinem Matrosen hätte für den auf La Palma lebenden deutschen Historiker  Thomas Stölting bereits genügt, um die Denkmaltauglichkeit des als Entdecker von Amerika gefeierten Kolumbus kategorisch in Abrede zu stellen (Lettre International, 131/2020). Doch um dessen immer noch fortwirkenden Schulbuch-Ruhm gründlich zu verdampfen, referiert Stölting, was die jüngere historische Forschung zusammentrug, um das Bild eines Mannes zu zeichnen, der bei seiner Landnahme auf der Karibikinsel Hispañola (heute geteilt zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik) „das erste neuzeitliche Terrorregime in der Neuen Welt“ errichtet habe. 

Und zwar im zweiten Anlauf, nachdem er im Herbst 1493 mit siebzehn Schiffen und mehr als 1.200 Mann an Bord dorthin zurückgekehrt war. Die Mehrzahl von denen war als Siedler auserkoren, um einen Stützpunkt für kontinuierliche Handelsbeziehungen mit den Eingeborenen aufzubauen. Da sie den Spaniern aber nicht Gold, Perlen oder Gewürze anbieten konnten, wurden sie als Sklaven selbst zu profitablen Handelsobjekten. Viele Indios flohen darum in die Berge, verfolgt von Bluthunden. Die Überlebenden solcher Menschenjagden wanderten als Sklaven nach Spanien, den Gewinn aus ihrem Verkauf kassierte Kolumbus. „Lebensmittelpunkt“ jeder der ärmlichen Hüttensiedlungen, unter denen nur eine einzige durch ein Gebäude aus Stein, das stets gefüllte Gefängnis, auffiel, war ein hoher Baum, der Richtplatz. Dort peitschte man Verurteilte öffentlich aus oder hängte sie. 

Die Siedler beklagten die unermeßliche Gier und die Brutalität des Gouverneurs, der auch keinen Moment zögerte, zwei Homosexuelle hinrichten zu lassen: der eine wurde geköpft, der andere gehängt. Um sich vor der Wut seiner Landsleute zu schützen, nutzte Kolumbus einen Teil des Gefängnisses als Wohnsitz, der einem Bollwerk glich, das er nur im Schutz seiner Leibwache verließ. Diesem drakonischen Regiment machte das spanische Königspaar ein Ende, als es die Hoffnung aufgab, Hispañola werde ihnen jemals die von Kolumbus verheißenen Reichtümer bescheren. Er selbst, dem die Majestäten befahlen, nie wieder einen Fuß auf die Insel zu setzen, konnte sein durch Sklavenhandel und Ausbeutung der Indios angehäuftes Kapital aber retten und starb als wohlhabender Bürger 1506 in Valladolid.

Nach seinem Tod geriet Kolumbus für Jahrhunderte in Vergessenheit. Erst zum 400. Jahrestag der „Entdeckung Amerikas“, am 12. Oktober 1892, entstieg er dem Dunkel der Geschichte. Denn die USA hatten schon länger nach einem gemeinsamen erinnerungspolitischen Bindeglied zwischen sich und den unabhängig gewordenen Staaten Lateinamerikas gesucht, um sich als neue Hegemonialmacht zu profilieren. Spanien, das 1898 seine letzten Kolonien in der Karibik, Kuba und Puerto Rico an die USA verlieren sollte, habe sich damals im Sinkflug befunden, für die „Yankees“ ging es hingegen steil nach oben. 

Die Erklärung des 12. Oktober zum „Kolumbus-Tag“ sei also ein durchaus unfreundlicher Akt, ein Ausdruck selbstbewußter Machtpolitik gegenüber einem strauchelnden Konkurrenten gewesen. Auf den dieser mit einem so radikalen wie sinnlosen Wechsel der eigenen Erinnerungspolitik reagierte: „Bis dahin war die katholische Eroberung des muslimischen Granada das prägende sinnstiftende Ereignis der spanischen Geschichte. Das änderte sich nun 1892 und ist bis heute so geblieben.“ Da zudem andere Länder Lateinamerikas Kolumbus und dieses Datum nicht den imperialistischen USA überlassen wollten, zogen sie allmählich nach: 1912 erklärte die Dominikanische Republik den 12. Oktober zum Feiertag, 1915 folgte Uruguay, 1917 Argentinien und Peru, 1921 Chile, und 1918 erhob Spanien selbst den Tag zum nationalen Feiertag. 

Reichtum Europas beruhe auf dem Sklavenhandel

Die Lateinamerikaner beschieden sich jedoch nicht mit einem „Kolumbustag“, sondern kreierten daraus zugleich einen „Tag der Rasse“, der „weißen Herrenrasse“. Damit sorgten sie für eine „rassistische Kontaminierung“ dieses Gedenktages. Und unfreiwillig für die dem Zeitgeist der 1980er entsprechenden politisch korrekten Umwidmungen zum „Tag der Dekolonisation“ (Bolivien) oder „Tag der autochthonen Völker“ (Peru). Diese wiesen bereits auf die gegen Kolumbus und viele andere alte weiße Männer gerichteten zahlreichen Denkmalsstürze des „Black Lives Matter“-Sommers 2020 voraus.

Dem spiegelbildlichen Rassismus dieses „Anti-Rassismus“-Kreuzzugs verschafft Stöltings Kolumbus-Skizze durch ihre Einbettung in eine Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels das gute Gewissen einer scheinbar moralischen Legitimation. Bedient sie doch die Legende, Europas reiche Zivilisation beruhe exklusiv auf kolonialistischer Expansion, Sklavenhandel und billigen Rohstoffimporten aus Übersee. Wo man hinschaue, zeuge die heutige Eigentums-topographie der Gesellschaften Europas und der USA von derart „skandalösen historischen Kontinuitäten“. So sei der britische Ex-Premier David Cameron genauso ein Nachfahre von Sklavenhaltern wie der kürzlich verstorbene französische Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing, und bei ausnahmslos allen alten, reichen spanischen Familien müsse man wohl davon ausgehen, daß sie ihre Vermögen dem Menschenhandel verdanken. 

Fairneß gebietet es allerdings, darauf hinzuweisen, daß Stölting hier und da zu differenzierterer Deutung fähig ist. Etwa wenn er die ältere muslimische Tradition des Sklavenhandels erwähnt oder den in heutigen Kontroversen notorisch ausgeblendeten gewaltigen Anteil der afrikanischen Stammesfürsten, die ihre als „Klasse der Entbehrlichen“ stigmatisierten Hintersassen zuhauf versklavten, um sie den weißen Kolonialisten anzubieten und die so einen lukrativen Sklavenhandel erst in Schwung brachten. Zu Recht, so räumt Stölting ein, frage sich der US-Künstler Arthur Jafa, auf wen man hier eigentlich mehr wütend sein solle, auf den Käufer oder den Verkäufer?