© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Fiasko im Dschungel
Im Februar 1971 scheiterte eine Operation der südvietnamesischen Armee gegen den Ho-Chi-Minh-Pfad fatal
Marcel Waschek

Zusammengekauert unter einer großen Wurzel hockt der Raketenwerferschütze. Nur der rote Stern an seiner Mütze prangt hervor. Alles andere ist perfekt getarnt. Der gepanzerte Konvoi, auf den er wartet, schiebt sich mühselig vorwärts. Die Soldaten neben und auf den Fahrzeugen sind müde. Die Sicherung ins grüne Ungewisse neben der Route 9, einem rutschigen Dschungelpfad mit tiefen Schlammlöchern, dient mehr der eigenen Beruhigung. Plötzlich ein greller Feuerstrahl aus dem Unterholz. Der erste Panzer der Kolonne ist von Flammen und Rauch umhüllt. Auch der Schützenpanzer am Ende der Kolonne ist von Feuer umgeben. Kugeln prasseln auf die unglücklichen Kämpfer ein. Immer mehr Fahrzeuge werden zur Feuerhölle für ihre Besatzungen. Der Überfall ist schnell, grausam und effektiv.

Die Operation Lam Son 719, benannt nach einem vietnamesischen Volkshelden, stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Der Ho-Chi-Minh- Pfad, über den Soldaten und Kampfmittel aller Art in den Süden flossen und der durch Laos und Kambodscha führte, sollte mit dieser Operation durchschnitten werden. Der ursprünglich aus den alleinigen Planungen der US-Amerikaner entstandene Plan sah vor, von der Basis Khe Sanh, um die es 1968 während der Tet-Offensive erbitterte Kämpfe gegeben hatte, nach Westen entlang der Route 9 bis in die Gegend um Tchepone vorzustoßen und sowohl auf dem Weg dorthin, als auch vor Ort Versorgungsbasen der Nordvietnamesischen Armee aufzuspüren und zu vernichten. 

Der südvietnamesische Generalstab wurde aus Sorge vor Verrat erst wenige Wochen vor dem Beginn des Einsatzes informiert. Das allerdings war fatal, da durch den Cooper-Church-Artikel ab 1971 keine Einsätze von US-Einheiten in Kambodscha oder Laos durchgeführt werden durften. Stattdessen sollten die südvietnamesischen Streitkräfte die Bodenoffensive und den landgestützten Nachschub ab der laotischen Grenze übernehmen. Die USA wollten sich lediglich auf Luftunterstützung und Versorgung beschränken. 

Südvietnam büßte seine besten Kampfeinheiten ein

Auf der bis zur Grenze von US-Truppen freigekämpften Route 9 betraten am Morgen des 8. Februar 1971 mehr als 4.000 südvietnamesische Soldaten laotischen Boden. Fallschirmjäger wurden nördlich des Vormarschweges in der Nähe der von Norden kommenden Route 92 abgesetzt und errichteten dort Stützpunkte. Schlechtes Wetter, mangelhafte Straßenverhältnisse, die Angst vor Hinterhalten und das häufige Stoppen des Konvois, um kleinere „Search and Destroy“-Missionen gegen kommunistische Partisanen abseits der Straße durchführen zu können, verlangsamten den Vormarsch. Die Versorgung war ungenügend und mußte zusehends von US-Hubschraubern übernommen werden. 

Am 11. Februar stoppte die Kolonne, um bessere Verteidigungsstellungen errichten zu können. Derweil bereiteten sich die nordvietnamesischen Einheiten in Laos, welche bisher den vorrückenden Truppen ausgewichen waren, auf eine Gegenoffensive vor. Luftabwehrwaffen und sonstige Geschütze aller Art sowie alle verfügbaren Soldaten wurden von Nordvietnam in Stellung gebracht. Die nördlichsten Stellungen der Südvietnamesen wurden überrannt. Luftunterstützung und das Einfliegen von Nachschub durch die USA wurde angesichts des starken Abwehrfeuers immer schwieriger. 

Mit zunehmenden Verlusten entschloß sich die Regierung in Saigon dazu, die Operation so schnell wie möglich unter bestmöglichen politischen Bedingungen zu beenden. Im Anschluß an die Besetzung von Tchepone sollte der Abzug eingeleitet werden. Am 8. März gelang die Besetzung der Stadt. Das Umland, in welchem sich mehrere bedeutende Lager Nordvietnams befanden, wurde aber nicht kontrolliert. Als tags darauf der Rückmarsch begann, schnappte die Falle zu. Nordvietnamesische Einheiten durchbrachen an mehreren Stellen die Route 9. Stellungen Südvietnams wurden überrannt. Vielfach war eine Flucht nur mit US-Hubschraubern möglich.

Auch wenn der Einsatz von Saigon und Washington als Erfolg deklariert wurde, konnten die kommunistischen Kräfte nicht ernsthaft geschwächt werden. Stattdessen hatte Saigon große Teile seiner Eliteeinheiten verloren. Der gegen Saigon gerichteten Osteroffensive 1972 und der Offensive von 1975 hatte die südvietnamesische Armee nichts Ausreichendes entgegensetzen.