© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Überlieferung von Novalis
Aphorismen des politischen Dichters Rolf Stolz
Wilfried Westphal

Es gab einmal eine Zeit, da rühmte man Deutschland als das Land der Dichter und Denker. Lang ist es her! Heute begnügt man sich mit Fußball und Krimis und ansonsten nur noch Twitter-Gedankenmüll, der sich zu Bergen türmt. Ein tiefer Fall, beispiellos und dennoch von kaum jemandem beklagt. Da verdient ein Anlauf in eine andere Richtung um so mehr Beachtung: Ein Werk, das sich zwischen Dichtung und Prosaischem, Philosophie und Psychologie bewegt. Ein breites Spektrum, das nicht von ungefähr vom Autor Rolf Stolz stammt, der im Schnittpunkt von Kunst und Literatur mit der praktischen Erfahrung eines Psychologen aufwarten kann. 

Höchst ungewöhnlich und ambitiös ist sein neuestes Unterfangen, bei dem der Autor auf eindrucksvolle Weise unter Beweis stellt, daß er ebenso in der Theorie wie in der Praxis zu Hause ist. Und dennoch ist hier nur von den Anfängen schriftstellerischen Schaffens die Rede, denn es geht um die Genese von Gedanken und Einsichten, Erkenntnissen und Entwürfen, Aphorismen, Aperçus, Thesen. Zu Recht verwies der 2003 verstorbene Germanistikprofessor Claus Sommerhage darauf hin, daß Stolz mit seinem „poetischen Reisetagebuch“ in einem Überlieferungszusammenhang zu den Fragmenten der Romantik, vor allem zu Novalis, steht.

Dieses Buch ist nicht zum Herunterlesen geeignet, vielmehr zum Innehalten, in einem Akt der Bewußtseinserweiterung und Neuorientierung. Wie Ralph Knapp, ein den Künsten verbundener protestantischer Pfarrer, in seinem Vorwort schreibt, führt Rolf Stolz „heraus aus den Selbstverständlichkeiten eines Denkens, das sich immer mehr den Problemen verweigert“. Der Autor sucht nach einem „anderen, neuen und eigenen Weg außerhalb der gesicherten Beschränktheit der Schulphilosophie“. Das Sichere sieht er als Tod der Freiheit. Glück bedeutet für ihn „die unmerkliche Verzögerung der Wahrheit“. ,,Wer im Gashaus sitzt, sollte mit Steinen werfen“ lautet die zentrale Botschaft eines Rebellen der Worte, der nicht das sagt, was man auf Anhieb erwarten und verstehen würde. Aber gerade indem er uns zum Querdenken zwingt, wirkt das, was er uns vermittelt, dauerhaft nach.

Rolf Stolz: Voranfänge: Aphoristisches und Philosophisches. Edition Bärenklau, Bärenklau in Brandenburg 2020, gebunden 346 Seiten, 24,90 Euro