© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Tante-Emma-Läden auf Rädern
Bis an den Gartenzaun: Wo es keinen Dorfladen mehr gibt, kommt das Geschäft zu den Kunden
Bernd Rademacher

In Deutschland hat sich die Zahl der Lebensmittelläden zwischen 1990 und 2010 glatt halbiert. Durch Marktkonzentration haben die sechs größten Märkte einen Anteil von 90 Prozent. Doch für Lebensmittelketten sind Orte unter 5.000 Einwohnern nicht rentabel. Gab es vor 30 Jahren noch rund 65.000 kleine Lebensmittelgeschäfte mit unter 400 Quadratmeter Fläche, sind es heute kaum noch zehntausend. Nicht einmal ein Fünftel der verbliebenen Dorfläden erwirtschaftet noch einen Jahresgewinn von 25.000 Euro, was gerade für eine Person als Lebensunterhalt reicht. Ohne Rente oder Zuverdienst läuft nichts. In über der Hälfte aller Gemeinden unter tausend Einwohnern gibt es daher keine Verkaufsstelle für Waren des täglichen Bedarfs mehr. Mit der Nahversorgungsstruktur verschwindet auch ein wichtiges soziales Forum für die Dörfler.

Teilweise haben große Ketten wie Rewe oder Markant darauf reagiert und für Kommunen ab tausend Einwohner Nischenkonzepte für Flächen ab 100 Quadratmeter realisiert. Ein Beispiel ist das „DORV-Zentrum“ (Dienstleistung und ortsnahe Rundum-Versorgung) unter Einbeziehung regionaler Produzenten. Es profitiert zudem vom Trend, nach dem „regional“ das neue „bio“ ist. 

Viele Kunden sind Senioren

Doch das Rückgrat der Versorgung in der Fläche ist der mobile Supermarkt: das Verkaufsmobil, das Brötchen, Wurst oder Käse bis an den Gartenzaun bringt. Rund zweitausend rollende Läden gibt es in Deutschland. Ihr Aktionsradius beträgt durchschnittlich 50 Kilometer. Die meisten sind „Einzelkämpfer“. Staatliche Subventionen bekommen sie – anders als stationäre Läden – nicht, wegen Wettbewerbsschutzes. Wenn der Fahrer klingelt, brauchen die oft betagten Kunden nur über die Straße zu gehen. Viele Verkäufer nehmen per Internet oder Zettelliste auch Vorbestellungen an.

Die meisten Verkaufsautos bringen Brot- und Fleischwaren, gefolgt von Obst & Gemüse sowie Molkereiwaren und Saisonprodukte wie Spargel. Nur etwa ein Fünftel sind Vollsortimenter. Einige haben sogar Zigaretten und Briefmarken. Im Schnitt dauert die Verkaufstour sechs Stunden, plus drei Stunden Fahr- und Rüstzeit. Von den durchschnittlich 100 täglichen Kunden sind über die Hälfte Senioren, die meisten Frauen. Die Normalkunden kaufen für rund sieben Euro ein – oft kommt so nur ein recht karger Monatsgewinn zusammen. Immerhin bleibt das Geld in der Region.

Von Dienstag bis Samstag kurven Gerlinde Jahnke und Patrick Pasewald mit ihrem Lebensmittel-Lkw über die Käffer im südlichen Mecklenburg: Von Grebs-Niendorf über Neu Kaliß bis Karenz. Wenn ihr rotes Auto kommt, steht die Kundschaft meist schon auf der Straße. Manche hängen auch einfach einen Stoffbeutel mit dem Einkaufszettel und abgezähltem Geld an die Haustür. Oder Jahnke klingelt, nimmt die Bestellung an und kommt mit dem Gewünschten zurück. Auch der eine oder andere Sonderwunsch – wie ein Glas Honig oder eine Tafel Schokolade – wird gerne erfüllt.

In der Lüneburger Heide backt Georg Otzmann nachts in seiner Backstube Brot und Brötchen, die er ausschließlich mit seinem Shopmobil in den Gemeinden der Nordheide vertreibt. Einen stationären Bäckerladen hat er nicht. Aber nicht nur Lebensmittel rollen über die Dörfer, auch andere Dienstleister fahren zu ihrer abgelegenen Kundschaft. Stephanie Heidrich aus dem niedersächsischen Elsdorf besucht als „Heidi’s mobile Käserei“ Milchbauern im Landkreis Rotenburg/Wümme und verarbeitet die Milch der Kühe vor Ort zu herzhaftem Hofkäse. 

Mobile Tierärzte sind ebenfalls unterwegs 

Apropos Tiere: Ulrike Spieker aus Sankt Augustin besucht mit ihrer mobilen Tierarztpraxis Hunde, Katzen und Kanarienvögel im Rhein-Sieg-Kreis. Alexander Kühne fährt als mobiler Hufschmied mit seiner rollenden Werkstatt von Reiterhof zu Reiterhof im Münsterland, um Pferde zu beschlagen. Auch Massage, Fußpflege und Friseur kommen inzwischen vereinzelt mit dem Kfz in die Fläche. In manchen Regionen stimmen verschiedene fahrende Händler ihre Touren so ab, daß in den Dörfern fast eine Marktsituation entsteht.

Hildegard (82) ist Fan von ihrem Eierbauern, der immer montag mittags vor ihrem Haus die Schiffsglocke an seinem Verkaufsmobil läutet. Sie schwört auf die Frische der Eier, Kartoffeln und Leberwurst. Am höchsten lobt sie aber den hausgemachten Eierlikör nach Familienrezept.

Bleibt – neben den ständig steigenden Spritpreisen – nur ein Problem: Die Lebensmittelüberwachungsbehörden schreiben ein WC für das Verkaufspersonal vor. Zum Glück ist der Eigentümer unerheblich. Es muß nur gewährleistet sein, daß ein WC während der Tour erreicht werden kann. Da läßt so mancher dankbare Kunde den Fahrer gerne mal kurz hinein.