© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Hauptsache progressiv
„Brand New Bundestag“: Die Initiative will Parteistrukturen überwinden und das Parlament „diverser“ machen
Björn Harms

Die Ziele der Initiative „Brand New Bundestag“ sind klar formuliert: Gesucht werden junge Menschen, die mit einer „progressiven Agenda“ die politische Landschaft „proaktiv mitgestalten wollen“. Das Zauberwort heißt wie immer „Diverstität“. Es solle endlich ausreichend Vielfalt in den politischen Institutionen sichergestellt werden. Gemeint sind damit vor allem die Landesparlamente sowie der Bundestag. Und so will der 2019 gegründete Verein „glaubwürdige Menschen“ finden, die aus allen Teilen der Bevölkerung stammen, um sie mit Hilfe von Spenden überparteilich bei einer politischen Kandidatur zu unterstützen. 

Das Vorbild hierfür stammt aus Amerika, wo im April 2016 die Initiative „Brand New Congress“ von einigen Mitarbeitern des linken Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders gegründet worden war, verbunden mit dem Ziel, etablierte Parteistrukturen aufzubrechen. Maximilian Oehl, eigenen Angaben zufolge Feminist, Flüchtlingsanwalt und SPD-Mitglied, gründete den deutschen Ableger, um ebenfalls geeignete Bewerber aller Parteien zu finden, für die Themen wie Klimawandel, Einwanderung, Umbau des Wirtschaftssystems und Verkehrswende zentral sind. Helfen bei der Auswahl soll eine eigens zusammengewürfelte Jury. 

Schwesterorganisation verzeichnet kaum Erfolge

Die sechs Hohepriester haben allesamt Lebensentwürfe, die perfekt das identitätspolitische Muster der Initiative widerspiegeln. Zunächst wäre da die „feministische Muslima“ Kübra Gümüsay, die beste Kontakte ins islamistische Milieu pflegt. So ist die 32jährige gerngesehener Gast auf Konferenzen der Millî Görüs-Bewegung. Zudem ist Gümüsay „Associated Expert“ am Berliner „Center for Intersectional Justice“, das auf Basis der „Critial Race Theory“ den vermeintlich strukturellen Rassismus in Deutschland bekämpfen will. In diese Bresche schlägt auch ein weiteres Jury-Mitglied. Anna Dushime ist eine aus Ruanda stammende „woke“ Aktivistin, die ihr identitätspolitisches Handwerk bestens versteht. „Wenn vier weiße Menschen in einer WDR-Sendung über Alltagsrassismus sprechen, obwohl sie nicht betroffen sind – das geht natürlich nicht“, befand sie vor zwei Wochen in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Was aber in Ordnung sei: Es könne ein Raum geschaffen werden, „wo weiße Menschen zusammenkommen und über ihre Privilegien sprechen und Verfehlungen und wie man es besser machen kann“.

Auch die weiteren Jury-Angehörigen haben stets ein besonderes, partikulares Merkmal: Raul Krauthausen ist kleinwüchsig und bezeichnet sich selbst als „Inklusions-Aktivist“. Die Journalistin Melanie Stein wirbt damit, daß sie aus Ostdeutschland stammt. Shai Hoffmann, Berliner mit israelischen Wurzeln, engagiert sich gegen antisemitische und antimuslimische Ressentiments. Einzig Roman Huber, Geschäftsführender Bundesvorstand beim Verein „Mehr Demokratie“, tanzt als mittelalter, weißer Mann ein wenig aus der Reihe. 

Nun also sucht man Kandidaten, die alte, verkrustete Strukturen in den Parlamenten aufbrechen sollen. Aktuell würden im Bundestag hauptsächlich heterosexuelle Männer über 50 beziehungsweise 60 Jahren sitzen, beklagt Lia Pack, verantwortlich für Presse und Kommunikation bei „Brand New Bundestag“. Zudem seien die Ansichten und Meinungen von jungen Menschen, von Frauen, von Menschen mit Behinderung und „People of Color“ (PoC) unterrepräsentiert. 

Auch bildungstechnisch erkennt die Initiative einige Mängel – aber anders als man denkt. „Nur neun von 709 Abgeordneten haben einen Hauptschulabschluß“, heißt es auf der Internetseite, wo die Soziologin Chistiane Bender auch die passende Einordnung mitliefert: „Auch Menschen mit Haupt- oder Realschulabschluß bringen wichtige Erfahrungen mit – in einer Welt, die sich so rasch wandelt, brauchen wir auch diese Zugänge.“ Dahinter steckt stets die Prämisse, daß nur Angehörige einer bestimmten Kategorie über die Probleme, Sorgen und Nöte jener Kategorie urteilen und entscheiden können. Ein Arzt dürfte gemäß dieser Denkweise keinen Krebspatienten auch nur anfassen. Schließlich hat er selber keinen Krebs.

Bislang sind die von der Jury ausgewählten neun Kandidaten gänzlich unbekannt. Ob die Kampagne Erfolg haben wird, ist mehr als fraglich. So möchte der 18jährige „Fridays for Future“-Aktivist Paul Schilling 2021 für die SPD in den Bundestag einziehen und bewirbt sich derzeit für ein Mandat in Minden. Die Jury hat er mit seinen „progressiven Ideen, seiner Energie und seinem Mut überzeugt“. Armand Zorn aus Kamerun möchte in Frankfurt am Main für die SPD zur Bundestagswahl antreten. Der irakische Flüchtling Kassem Taher Saleh tritt als Spitzenkandidat der Grünen Jugend in Sachsen für die Bundestagswahl an. Die Münchnerin Philippa Sigl-Glöckner scheiterte bereits in der SPD-internen Vorwahl im Wahlkreis München Nord.

Hier ähnelt „Brand New Bundestag“ bislang seinem amerikanischen Pendant „Brand New Congress“: Von den 30 Kandidaten bei der US-Zwischenwahl 2018 überstanden nur acht Kandidaten die parteiinterne Vorwahl. Lediglich einer Person gelang schließlich der Einzug ins Repräsentantenhaus: der Sozialistin Alexandra Ocasio-Cortez kurz „AOC“, die Maximilian Oehl als politisches Vorbild bezeichnet. Bei den Wahlen für den Senat und das Repräsentantenhaus 2020 sah es kaum anders aus: 36 von 46 Kandidaten scheiterten bereits in der Vorwahl, nur vier Personen gewannen die abschließende Wahl. Wieder darunter: AOC.