© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

„Warum sind wir immer noch nicht in der Nato?“
Ukraine: Präsident Selenskyj setzt große Hoffnungen auf die Biden-Regierung / Kiew will Bündnisbeitritt
Paul Leonhard

Der zwischen der Ukraine und Rußland schwelende Konflikt bekommt durch den Präsidentenwechsel in den USA neue Dynamik. In Gang setzte sie vergangene Woche US-Präsident Joseph Biden mit einer Rede  im State Department, in der er betonte, wie sehr er sich von seinem Vorgänger Donald J. Trump unterscheide, wenn es darum gehe, Rußlands globalen Aggressionen zu begegnen. Er habe Präsident Wladimir Putin bei einem Telefongespräch klargemacht, daß die „Tage, an denen die Vereinigten Staaten angesichts der aggressiven Handlungen Rußlands, der Einmischung in unsere Wahlen, der Cyberangriffe und der Vergiftung seiner Bürger vorbei“ seien.

Biden unterstrich, daß die Partner der USA, von denen sich viele unter der Trump-Administration „schlecht behandelt und vernachlässigt“ gefühlt hätten, sehen werden, daß Amerika seine Führungsrolle auf der ganzen Welt erneuern werde: „America is back. Diplomacy is back.“ 

Kurz zuvor hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Gespräch mit der US-Nachrichtenseite Axios die Hoffnung ausgedrückt, daß sich die Beziehungen zwischen den USA und der Ukraine unter der neuen US-Regierung verbessern würden. Beinahe schon süffisant beantwortete der 43jährige auf die Frage des Reporters, was genau die Ukraine von den USA brauche: „Warum sind wir immer noch nicht in der Nato?“

„Wir haben diese Gelegenheit 2008 verpaßt, lassen Sie uns jetzt diese Chance nutzen“, forderte auch der ehemalige Premier Arsenij Jazenjuk als Vorsitzender des Kiewer Sicherheitsforums. 

Bereits im Januar 2016 hatte US-Vizepräsident Biden mit Präsident Poroschenko bei einem Treffen in Davos eine Verstärkung der militärtechnischen Zusammenarbeit vereinbart. Im November 2020 bezog das ukrainische Verteidigungsministerium, dessen Soldaten von den USA geschult werden, zum ersten Mal militärische Ausrüstung über die Nato-Versorgungsagentur NSPA. Ein Schritt in Richtung gewünschter Nato-Vollmitgliedschaft ist auch das im Dezember mit der Türkei unterzeichnete Militärabkommen. Dieses „fördert auch die Integration der Ukraine in das nordatlantische Sicherheitssystem“, betonte Kiews Verteidigungsminister Serhij Taran. 

Mitte Januar hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg noch einmal betont, daß die „illegale Annexion der Krim, die Destabilisierung des Donbas und der Ost-Ukraine ein Verstoß „gegen absolute Nato-Grundprinzipien“ seien. Daher seien „Kapazitätsaufbau und die Hilfe bei Reformen“ bei dem Nato-Partner wichtiger denn je. Ob die Ukraine oder Georgien Mitglied der Nato werden oder nicht, sei allein die Entscheidung Kiews und Tiflis’ und nicht Moskaus, so der Nato-Generalsekretär abschließend.