© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Martialischer Tribut an Panem
Myanmar: Nach dem Militärputsch kommt das frühere Burma nicht zur Ruhe / UN ruft Armee zur Zurückhaltung auf
Marc Zoellner

Rote Flaggen, Mützen und Tücher beherrschten das Stadtbild, soweit das Auge reichte: Bis zu einhunderttausend Menschen hatten sich am vergangenen Wochenende allein in Rangun, der größten Metropole Myanmars, in den Farben der „Nationalen Liga für Demokratie“ (NDL) gekleidet auf die Straßen getraut, um gegen den jüngsten Putsch der Armee gegen die myanmarische Regierung zu protestieren. 

„Das Militärregime scheitert, die Demokratie gewinnt“, ließen die Demonstranten Sprechchöre erschallen, immer wieder überlagert von martialisch klappernden Töpfen und Pfannen. Und zwischendrin Tausende emporgereckte rechte Arme mit drei abgespreizten Fingern zum Gruß – dem Siegeszeichen der revoltierenden Masse aus dem auch in Indochina populären Science fiction-Film „Die Tribute von Panem“. 

Der lange Arm der Armee ins Parlament  

„Wir werden weitermachen und unsere Forderungen verkünden, bis die Demokratie wiederhergestellt ist“, erklärte der 37jährige Demonstrant Myo Win der französischen Nachrichtenagentur AFP am Rande des wohl größten Protestzugs in Myanmar seit der Safran-Revolution von 2007. 

In deren Verlauf hatte das damalige Militärregime Tausende buddhistische Mönche brutal ermorden und ihre Leichen in Flüsse werfen lassen, um die im ganzen Land aufflammenden Proteste zu ersticken. Trotz alledem läutete die Safran-Revolution den Anfang vom Ende der Militärjunta in Myanmar ein: Nur drei Jahre später erfolgten die ersten halbfreien Wahlen; die Bürgerrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zog nach 15 Jahren Hausarrest als Abgeordnete der NDL in das myanmarische Unterhaus ein und wurde schließlich nach einem Erdrutschsieg bei den Folgewahlen vom Herbst 2015 im Frühjahr 2016 zur Regierungschefin des südostasiatischen Vielvölkerstaates ernannt.

Zur Neuwahl vom vergangenen November konnte Suu Kyis NDL ihr Ergebnis mit gut 62 Prozent der Stimmen im „Haus der Nationalitäten“, dem myanmarischen Oberhaus, sowie rund 58 Prozent im Repräsentantenhaus noch einmal deutlich verbessern. Laut myanmarischer Verfassung ist ein Viertel der Sitze beider Häuser noch immer der Armee vorbehalten, die indessen mit Suu Kyis wachsendem Einfluß in den Parlamenten hadert. 

Zwar entstand in den vergangenen Jahren speziell bei der international geächteten Vertreibung der muslimischen Rohingya im Westen als auch bei der Bekämpfung separatistischer Völker im Nordosten Myanmars durchaus großes Einvernehmen zwischen Suu Kyi und dem Militär. 

Nie verwunden hatte die Armee hingegen den Verlust ihrer Dominanz über den außen- wie wirtschaftspolitischen Kurs der Nation, der sich vormals gerade für die Armeeführung als äußerst lukrativ erwiesen hatte.

Der Putsch vom 1. Februar kam von daher nur oberflächlich überraschend: Bereits eine Woche vorab drohte Min Aung Hlaing, jener General, welcher seit dem Staatsstreich als Regierungschef amtiert, er werde die „Verfassung abschaffen, sollte sie nicht befolgt“ werden. Die NDL habe zur Novemberwahl massiv gegen die Verfassung verstoßen, monierte die Armee, da die Wahlkommission von der Regierungspartei angewiesen wurde, die Ergebnisse der Parlamentswahlen in den Minderheitengebieten der Rohingya, Kachin, Shan und Karen zu annullieren – Landesteile, die bis vor wenigen Jahren noch im bewaffneten Konflikt zum myanmarischen Staat standen und sich mit ihrer Stimme befürchteterweise sowohl gegen die NDL als auch erneut gegen die Armee wenden könnten.Den Ausschluß von über einer Million Wählern nahm Armeechef Min Aung Hlaing, der aufgrund seiner tragenden Rolle während der Rohingya-Verteibung unter internationaler Sanktionierung steht, als willkommene Gelegenheit zum Putsch wahr. 

Militärdiktatur könnte länger andauern  

Suu Kyi sowie mehrere ihrer Vertraute wurden von Soldaten verhaftet; über ganz Myanmar verhängte die Armee den Notstand für die kommenden zwölf Monate. Ob es im Anschluß, wie vom Militär versprochen, zu Neuwahlen kommen wird, ist zweifelhaft: Immerhin hätte der  64jährige General noch diesen Sommer zu seinem Geburtstag aus Altersgründen abdanken müssen. Als Vorsitzender der Militärjunta ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß sich Min Aung Hlaing, der mit seinem noch während der vergangenen Militärdiktatur angehäuften Privatvermögen an weit verzeigten Wirtschaftsnetzwerken im Land beteiligt ist, auch über die Altersgrenze hinweg und trotz aller Proteste auf den Straßen Ranguns an seinem lukrativen neuen Posten als Regierungschef festhalten wird.

Angesichts der Entwicklung äußerte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, ihre Besorgnis über das „gewaltsame Vorgehen gegen abweichende Stimmen“ in Myanmar und erinnerte die Militärführung daran, die Rechte der Menschen zu achten und keine „unnötige oder exzessive Gewalt“ anzuwenden.