© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Die Gerüchteküche brodelt
Italien: Mario Draghi soll das Land retten / Lega-Chef Salvini schockt die Linken
Marco F. Gallina

Das italienische Intrigenspiel ist  immer wieder mit Wendungen gespickt. Die erste kam plötzlich, war aber nicht verwunderlich. Sie betraf Mario Draghis Berufung zum Premier. Draghi als Personalie kam unerwartet, doch das System hat Methode: auch die letzte „technische Regierung“ verzeichnete mit Mario Monti einen ehemaligen EU-Kommissar an der Spitze. 

Schon damals hatte die „Troika“ ihre Hand auf der Halbinsel. Montis Reformen drückten den Mittelstand, strichen soziale Leistungen zusammen und halfen der Fünf-Sterne-Bewegung im nachhinein zum Durchbruch, als bei der Wahl 2013 abgerechnet wurde. Bis heute hinterließ die Expertenregierung aus Parteilosen tiefe Wunden: die Italiener werden seitdem das Gefühl nicht los, ohnmächtig gegenüber Brüsseler Politik und der Bevormundung durch die „Kaste“ zu sein. Mit Draghi drohte das Szenario ein zweites Mal.

Auch Silvio Berlusconi setzt sich für Draghi ein 

Doch stattdessen folgte eine zweite Überraschung. Daß Silvio Berlusconi und seine konservative Forza Italia eine pro-europäische Regierung unterstützen würden, um ihrer „Verantwortung für das Land“ nachzukommen, war schon vorher abzusehen. Daß aber die Lega von Matteo Salvini nach ihrer anfänglichen Ablehnung ihr Herz für den europäischen Beelzebub entdeckte, machte nicht nur die römischen Eliten sprachlos.

 „Es war eine interessante Diskussion“, sagt Salvini nach dem Treffen. Draghi habe über Themen gesprochen, die ihn interessierten: nein zur Vermögenssteuer, nein zur Mehrwertsteuer-erhöhung, ein Italien, das sich wieder öffnet, das wieder „zum Lächeln zurückkehrt“. Man stände in vielen Angelegenheiten „im Einklang“.

Ist das noch derselbe Matteo Salvini, der als EU-Abgeordneter keine Möglichkeit ausließ, gegen Brüssel zu wettern?

 Der Generalsekretär der Lega erklärt: „Draghi ist nicht Monti. Er betonte, daß das Italien der nächsten Monate wieder laufen muß, mit weniger Steuern, konkreter Hilfe für Familien und Betriebe sowie großen Projekten.“ 

Der Lombarde hat keinen Grund, auf eine Regierungsbildung zu bestehen, von einer Neuwahl würde seine Partei profitieren. Warum Salvini nach dem Gespräch mit Draghi seine Meinung änderte, läßt Raum für Spekulationen und Gerüchte offen. 

In Rom kursiert die Darstellungsweise, daß Salvini gegenüber dem Premier in spe auf die desolate Lage des Landes hingewiesen habe, insbesondere im Bereich der Kleinbetriebe, Tourismus und Gastronomie – nicht zuletzt verursacht von der Pandemiepolitik der Vorgängerregierung. Offensichtlich sah Draghi im Bereich der Wirtschaftspolitik viele Dinge ähnlich. Anders ist kaum zu erklären, warum kurz darauf der Name von Lega-Frontmann Giancarlo Giorgetti als möglicher Vize-Premier kursierte. 

Salvinis Manöver ist demnach mehr Coup denn Einknicken. Das wissen auch die linken Gegner beim Partito Democratico (PD). Dort ätzt man zwar, wie schön es sei, wenn die Lega auf einen EU-Kurs einlenke. Doch in Wirklichkeit manövrierte  Salvini den Gegner in eine delikate Situation. 

Die Linken hatten auf eine Fortführung der Regierung unter einem anderen Premier gehofft – man ging davon aus, daß die Lega wie schon bei Montis Installation außen vor bliebe. Auf Salvinis Wende war man nicht vorbereitet. 

Der PD hatte jede Arbeit mit ihm kategorisch ausgeschlossen – und würde Draghi nun düpieren, bliebe sie bei dieser Haltung. Die Lega stellt die zweitgrößte Fraktion im Parlament und hätte damit größeren Einfluß – insbesondere, da die Fünf-Sterne-Bewegung über die Wahl Draghis immer noch tief gespalten ist. Ähnliches Potential zur „Explosion“ findet sich beim PD, wo Anti-Salvinisten bereits laut über ihre Unterstützung der Draghi-Regierung nachdenken.

Lediglich Giorgia Meloni hält die rechte Stellung  

Während die rechten Medien Salvinis Schwenk als verantwortungsvoll oder gar als „Reifung“ in einer Notlage des Landes beschreiben, verharrt Giorgia Meloni von den nationalkonservativen Fratelli d’Italia bei ihrem „Nein“. Meloni gilt als beliebteste Politikerin Italiens, in Umfragen erreicht ihre Partei solide zweistellige Werte. Politik und Presse feuern Breitseiten gegen die FdI-Chefin. Andere vermuten eine Absprache im rechten Bündnis: die Lega soll sich als neue rechte Volkspartei positionieren, Meloni die Protestwähler auffangen.