© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Steigende Aktien und Ringen um Aufträge
Corona-Krise: Die Impfstoffproduktion und die Verteilung läuft nicht auf Kommando / Neue Dax-Kandidaten?
Paul Leonhard

Daß sich mRNA-Impfstoffe in der Corona-Pandemie so schnell durchsetzen würden, war vor einem Jahr eine mutige Börsen-Wette. Und so sind der Mainzer Impfstoffentwickler Biontech und sein Partner Pfizer ein Wagnis eingegangen, als sie sich auf die Entwicklung ihres BNT162b2-Vakzins „Comirnaty“ konzentrierten. Es gab zwar Fördergelder von der EU und dem Bund für Biontech und die milliardenschwere „Operation Warp Speed“ von Donald Trump für Pfizer und andere US-Pharmafirmen – doch die Mehrzahl der Forscher konzentrierte sich auf die bei Dengue und Ebola verwendeten Vektorimpfstoffe.

Die erste westliche Zulassung erhielt dennoch Comirnaty. Biontech-Chef Ugur Sahin und die anderen Eigner sowie die Pfizer-Aktionäre können von dem Erfolg profitieren. Biontech-Aktien sind seit Oktober 2019 um über 600 Prozent gestiegen. Pfizer erwartet durch Comirnaty in diesem Jahr einen Umsatz von 15 Milliarden Dollar – bei einem Gesamtumsatz von 61,4 Milliarden Dollar. Der bereinigte Gewinn stieg um 16 Prozent auf 12,5 Milliarden Dollar. Die Pfizer-Aktien stagnieren dennoch 25 Prozent unter ihrem Stand von 2018.

Fehlende Kapazitäten und eine schwierige Logistik

Denn die Konkurrenz schläft nicht. Der „Warp Speed“-Profiteur Moderna aus Massachusetts produziert seinen zugelassenen Impfstoff „mRNA-1273“ unter anderem mit Hilfe der Basler Lonza-Gruppe. Die Tübinger Firma Curevac rechnet zwar erst im Frühjahr mit einer Zulassung für sein mRNA-Vakzin 

CVnCoV, will aber mit Bayer-Hilfe noch 2021 etwa 300 Millionen Impfdosen bereitstellen. Der CureVac-Aktienkurs hat sich seit dem Börsengang im Juli 2020 mehr als verdoppelt. Zudem ist es gelungen, auf dem Geldmarkt mehr als 517 Millionen US-Dollar für weitere Forschungen und den Aufbau einer Produktion einzusammeln.

Eine Finanzspritze braucht auch Biontech: „Im vergangenen Jahr hätte uns mehr Geld nicht geholfen, weil wir den Produktionsprozeß im großen Maßstab erst sicher aufstellen mußten“, erklärte Finanzvorstand Sierk Pötting, der 2014 von Novartis nach Mainz kam, im Spiegel. „Jetzt aber würde Geld helfen. Erst recht, wenn wir für nächstes Jahr eine Kapazität von drei Milliarden Dosen antizipieren sollen, wie es diese Woche bereits angefragt wurde.“ Gesundheitsminister Jens Spahn hat Zustimmung signalisiert, denn man wolle für „Mutationen oder notwendige Auffrisch-Impfungen auch für 2022 ausreichend Kapazität für Deutschland, Europa und die Welt sichern“, so der CDU-Politiker. „Am Geld wird die schnellere Beschaffung von Impfstoff jedenfalls nicht scheitern“, versprach auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD).

Doch anders als die Vektorimpfstoffe von Astrazeneca (AZD1222) oder dem russischen Gam-Covid-Vac („Sputnik V“) müssen mRNA-Vakzine auf dem Transportweg und bei längerer Lagerung bis zu minus 70 Grad gekühlt werden. Das eröffnet ein lukratives Geschäftsfeld. So bietet die Gerresheimer AG in Düsseldorf entsprechende Spezialflaschen an und produziert diese bereits in Europa, Mexiko und den USA. Das Unternehmen Transoflex übernimmt wiederum in Bayern den Transport der Corona-Impfstoffe von den Lagerstätten an die hundert Impfzentren.

Ausschlaggebend für den Auftrag dürfte gewesen sein, daß die 1971 gegründete Logistikfirma aus dem badischen Weinheim über Fahrzeuge mit GPS-Überwachung und aktiver Temperaturführung sowie eine spezielle Task Force für die Impfstoff-Verteilung verfügt. „Wir sorgen nicht nur für ein Höchstmaß an Sicherheit, sondern auch für die nötige Transparenz in der Lieferkette der sensiblen Güter“, erläutert Transoflex-Chef Wolfgang Albeck.

Bevor die Lieferfahrzeuge von Transoflex rollen können, müssen die des Osnabrücker Logistikdienstleisters Hellmann ihr Ziel erreicht haben. Der hat von der Bundeswehr, auf deren bewachten Lagerflächen sich der Impfstoff befindet, als langjähriger Logistikpartner im Bereich Medizintransporte den Auftrag für die deutschlandweite Verteilung der Covid-19-Impfstoffe in die Verteilerzentren erhalten. Seit dem 12. Januar rollen die von der Bundespolizei geschützten Tiefkühlfahrzeuge quer durch das Land. Transportaufträge hat sich auch die Deutsche Post gesichert.

Die in diesem Jahr in Deutschland zu verteilenden 50 Millionen Impfstoffdosen sind aber nichts gegen die zehn Milliarden Impfstoffeinheiten, die nach Einschätzung der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK) in 15 Millionen Kühlboxen in 15.000 Frachtflügen weltweit zu transportieren sind. Und hier kommt etwa ein halbes Dutzend deutscher Unternehmen ins Spiel, die mit Transportlösungen mit Isolationsfunktion aufwarten. Zu diesen zählt Storopack aus Metzingen in Baden-Württemberg mit seiner Tochter Schaumaplast im sächsischen Nossen.

Schleppende Produktionsumstellung

Wo bisher Sicherheitsteile aus Kunststoff für die Automobilindustrie hergestellt wurden, tüftelten Experten seit Sommer daran, stromlose Kühlsysteme an die speziellen Anforderungen für Corona-Impfstoffe anzupassen. Das Ergebnis sind Spezialboxen, die für den eiskalten Transport der mRNA-Impfstoffe geeignet sind. Auch bei der Ohlro Hartschaum GmbH in Strausberg bei Berlin werden Kälteboxen produziert, die die Temperatur über 250 Stunden zwischen zwei und acht Grad konstant halten können.

Im Aufwind befindet sich ebenso der europaweit größte Labordienstleister Synlab mit seinen 14 deutschen Standorten, aber auch das bislang im MDax notierte Familienunternehmen Sartorius. Das in Göttingen ansässige Unternehmen mit weltweit mehr als 10.000 Mitarbeitern stattet Labore sowie Werke von Pharmaproduzenten aus. Für das abgelaufene Geschäftsjahr 2020 rechnet die Sartorius AG mit einem Umsatzplus von 28 Prozent auf 2,34 Milliarden Euro. Man habe das „wachstumsstärkste Jahr der jüngeren Unternehmensgeschichte und gleichzeitig mehrere strategisch wichtige Akquisitionen realisieren können“, erklärte Firmenchef Joachim Kreuzburg.

Im September könnte die ursprünglich 1870 gegründete Firma zusammen mit Qiagen (Anbieter von Corona-Schnelltests) sogar in den neuen Dax-40 aufsteigen. Gut im Geschäft ist auch Wacker Chemie. Das Münchner Unternehmen hat einen Vertrag mit Curevac über die Produktion des Impfstoffes geschlossen. Mindestens 100 Millionen Dosen sollen in diesem Jahr die Produktionsanlagen von Wacker verlassen.

Ohne Lipide funktioniert kein mRNA-Impfstoff – doch der spezielle Fettstoff ist einer der Produktionsenpässe. Die Darmstädter Merck KGaA, die weltweit 50 Impfstoffprojekte beliefert, hat vorige Woche Biontech zugesagt, die Lieferung des dringend benötigten Rohstoffs erheblich zu beschleunigen und die Produktionsmenge zum Jahresende 2021 zu steigern. Doch das geht nicht auf Kommando: „Dies erforderte die Weiterentwicklung von Herstellungstechnologien und die Einführung neuer, hochkomplexer Prozeßschritte, erläuterte Merck-Chef Stefan Oschmann.

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 gerresheimer.com

 pharma.lonza.com

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