© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Zeitreise in die Hippiekultur
Rauschmittel: Matthias Matussek hat mit „Sucht und Ordnung“ mehr als ein Ratgeber-Buch vorgelegt
Filip Gaspar

Wer beabsichtigt, ein Kilo Haschisch über irgendwelche Ländergrenzen hinweg zu schmuggeln, der sollte dies niemals bei brütender indischer Hitze und erst recht nicht in seinen eigenen Schuhen tun. Dies ist nur einer der vielen überlebenswichtigen Lektionen, die Matthias Matussek in seinem neuen Buch „Sucht und Ordnung“ der Jugend mit auf den Weg gibt.

Wer einen Ratgeber sucht, wie er es in 30 Tagen schafft, dem Rauchen zu entsagen, der liegt mit diesem Buch falsch. Ebensowenig lohnt es sich Berechnungen anzustellen, wieviel Geld man als Nichtraucher gespart hätte, auch wenn Matussek solche Berechnungen im Buch anstellt. Daß nach der letzten Zigarette die Anzeige auf der Waage nach oben schnellt, ist sicherlich auch keine Überraschung für die meisten Leser. Manche fangen aus Langeweile, Gruppenzwang oder aus bloßer Neugier mit dem Rauchen an. Die Gründe sind so vielfältig wie die Tabaksorten auf dem Markt, auch wenn Matussek schreibt, daß „Möchtegern-Zigarettenmarken wie Reval, HB, Stuyvesant nicht ernst zu nehmen“ seien.

Das Geleitwort hat Matusseks Facebook-Freund Kalle Schwensen geschrieben. Der aus dem Hamburger Rotlichtmilieu stammende Eventmanager spricht sich darin im Gegensatz zu Matussek gegen eine Legalisierung von Drogen aus, bringt dafür jedoch auf den Punkt, wovon das Buch handelt: nicht bloß vom Rauchen, sondern auch davon, nach Niederschlägen wieder aufzustehen.

Als Jugendlicher hat er nichts anbrennen lassen

Der Leser unternimmt eine Reise in eine Ära, als Quarzen noch cool, gar sexy, war und es ganz normal war, daß Moderatoren und Schauspieler im Fernsehen vor Publikum Whisky und Zigaretten konsumierten. Das war in den 1970ern, und der Glimmstengel gehörte dazu. Die Suffragetten rauchten, weil die Männer rauchten, und um zumindest intellektuell zu wirken, durfte ein voller Aschenbecher nicht fehlen. Und auch der jugendliche Matussek, 1954 in Münster zur Welt gekommen, Jesuiten-Internatsschüler, ließ in der Hippie-Ära nichts anbrennen. Nikotin, Suff, Haschisch, LSD, Kokain, Heroin durch die Nase geschnupft ... zudem zu allem Überfluß Eckes-Edelkirsch-Likör.

Gründe aufzuhören gibt es mehr als genug. Mein Vater hörte nach über 40 Jahren mit der Begründung auf, daß er einfach keine Lust mehr habe. Meine Mutter folgte kurz darauf, nachdem sie gemerkt hatte, daß sie die ganze Zeit gepafft und nicht inhaliert hatte. Warum auch immer, wenn es um Sucht geht, spielen rationale Beweggründe für oder dagegen selten eine Rolle. Bei Matussek war erst ein schwerer Herzinfarkt nötig, um dem Rauchen zu entsagen. Auf der von der Krankenversicherung bezahlten Taxifahrt nach Bad Oeynhausen in die Rehaklinik werden die letzten Zigaretten von und mit seinem türkischen Chauffeur Hasan geraucht. Vor Ort erfährt er, daß die Nikotinabhängigkeit noch schwerer zu bekämpfen sei als die Heroinabhängigkeit. Es folgt eine Abrechnung mit der Nikotinsucht, die, im Vergleich zu anderen Drogen, dem Konsumenten nichts gibt.

Freimütig erzählt Matussek von seinen Erfahrungen mit allerlei Rauschmitteln, so zum Beispiel von der Haschisch- und LSD-Phase mit erst 16 Jahren, denn „das gehörte einfach zum Programm“, die zu interessanten Drogenerlebnisse führte. Sei es, um in den Pariser Louvre zu gehen und dort alles lachend zu erleben. Oder in einem klapprigen VW-Bus ohne Winterbereifung nach Indien zu fahren, denn „Revolution oder Erleuchtung: Hauptsache Indien“ war die Devise. Mögen einige der Trips dem heutigen Leserpublikum komisch erscheinen, so merkt man, daß es damals vollkommen normal war.

Der Trip endete im Zentralgefängnis

Einige Kapitel sind neu aufgelegte Reportagen. Diese lohnen sich alleine deshalb, weil Matussek, der viele Jahre als Reporter unterwegs war und mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet wurde, in dieser Gattung brilliert und zeigt, daß es beim Spiegel auch Reportagen vor Relotius gab. Das Kapitel im Anhang, das ihn nach Rio de Janeiro und zum damaligen frisch eingesetzten Polizeichef, der mit korruptesten Polizei auf diesem Planeten, führt, zeugt vom schier aussichtslosen Kampf gegen die Drogenmafia.

Doch nicht nur das. Alleine die Schilderungen seiner Begegnungen mit zwei suchtaffinen US-amerikanischen Heroen des Literaturbetriebs, Charles Bukowski („Die Legende vom heiligen Trinker“) und William S. Burroughs („Godfather der Junkies“), sind den Kauf wert. Das Buch ist also jedem, ob Raucher oder Nichtraucher, zu empfehlen, der eine literarische Zeitreise in die Hippiekultur antreten will.

Ach ja, um noch die Sache mit dem Haschisch in den Schuhen aufzuklären: Matussek hatte sich das Zeug in seine „ziemlich durchgelatschten braunen Wildlederstiefel“ gestopft – mit dem Ergebnis, daß sich der schwarze Afghane auf dem kochenden Asphalt mehr und mehr verflüssigte und „meine Füße in den Boots zu schwimmen begannen“. Der Trip endete für Matussek, in Ketten gelegt, auf einer Polizeiwache, anschließend ging es für zwei Monate in ein indisches Zentralgefängis. Dumm gelaufen.

Matthias Matussek: Sucht und Ordnung. Wie ich zum Nichtraucher wurde und andere irre Geschichten, M&M productions 2020, kartoniert, 158 Seiten, 15 Euro, E-Book 9,99 Euro