© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Mit Goethe gegen den westlichen Universalismus
1968 in der Paulskirche
(ob)

Wir werden der philosophischen Charaktermaske des französischen Imperialismus, der mit Goethe im Kopf und dem Maschinengewehr in der Hand die ausgebeuteten Massen seines Volkes unterdrückt, den Weg in die Paulskirche versperren.“ Das mißglückte dann zwar, aber zumindest gab der vulgärmarxistische Jargon dieses im September 1968 anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den senegalesischen Politiker und Dichter Léopold Sédar Senghor verteilten Flugblatts des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) hinreichend Auskunft über die intellektuelle Schlichtheit seiner Urheber. Denn Senghor, damals amtierender Präsident Senegals und führender Programmatiker der Dekolonisation, sei keineswegs eine Marionette des Westens gewesen, für die ihn die SDS-Krawallmacher ausgaben. So wie der auf „Globalgeschichte der deutschen Literatur“ spezialisierte Germanist Urs Büttner (Universität Düsseldorf) den Festakt rekonstruiert (Zeitschrift für Ideengeschichte, 1/2021), habe Senghor vielmehr seine Dankesrede genutzt, um unter Berufung auf Goethe, dessen Werk er 1940 in deutscher Kriegsgefangenschaft schätzen gelernt hatte, den noch ungebrochenen Kulturimperialismus der „universellen diskursiven Vernunft“ zu unterminieren und „europäische Universalismusansprüche“ zurückzuweisen. Globalen Kulturaustausch, so argumentierte Senghor auf der Basis von Goethes Weltliteratur-Konzept, könne es nur geben, wenn Völker nicht bloß politisch-ökonomisch koexistieren, sondern dabei „in ihrer Verschiedenheit zusammenleben und im wechselseitigen Lernen ihre Eigenheit bewahren“. 


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