© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Dunkle Wolken im Norden
Redaktionszusammenlegung und Mitarbeiterstreit: Beim „Spiegel“ und beim „Stern“ rumort es
Ronald Berthold

Drunter und drüber geht es bei den Magazinen Stern und Der Spiegel nicht zum ersten Mal. Diesmal aber besonders. Die Blätter aus dem hanseatischen Norden, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl unter dem Begriff „linke Kampfpresse“ zusammenfaßte, werden von Umstrukturierungen und scharfen internen Auseinandersetzungen erschüttert.

Für den Stern läuten Mitarbeiter derzeit sogar bereits das Totenglöckchen. Vom „sterbenden Stern“ spricht der langjährige Vize-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges. Grund: Die Führung des Blattes macht das gesamte Ressort „Politik und Wirtschaft“ in Hamburg sowie das Hauptstadtbüro in Berlin dicht.

Stattdessen schließt man sich auf dieser Ebene dem ebenfalls bei Gruner + Jahr erscheinenden Wirtschaftsmagazinen Capital und Business Punk an. Von einer Fusion zu sprechen wäre falsch. Denn 17 Stern-Leute müssen gehen, acht dürfen sich auf neue Stellen in Berlin bewerben, wo sie künftig von Capital-Redakteuren dominiert werden. Denn die sind mit rund 30 in der Mehrzahl. Daß sich damit die teils linke Ausrichtung des Stern ändert, gilt als wahrscheinlich.

Capital-Chefredakteur Horst von Buttlar, der nun auch Stern-Vize wird, soll das Sagen über die Politik-Berichterstattung bekommen. Daß er sich der Stern-Mannschaft als „konservativ-liberal“ vorstellte, sorgte dort für zum Teil hysterische Schnappatmung. In einer Resolution verlangt der Redaktionsbeirat, die Berufung von Buttlars rückgängig zu machen. Das ganze Paket ist ein „gewaltiger Schock“ für eine Redaktion, die die Gestaltung eines Hefts im Herbst an die Aktivisten von „Fridays for Future“ abtrat.

Nicht-linker Journalismus gilt im Verlagsgebäude am Baumwall als reaktionär. Nun wird es ihn wohl notgedrungen ein bißchen geben, denn „es ist wirklich ernst“, so Stern-Chefredakteur Florian Gless: „Wir können nicht einfach nichts tun.“ Deswegen schafft er auch die Pressedatenbank mit zehn Mitarbeitern ab.

Ein insgesamt heftiger Aderlaß, der dem konsequenten Vergraulen der Leserschaft geschuldet ist. Zuletzt verkaufte das Blatt am Kiosk und im Abonnement noch 245.354 Hefte. Ohne die 80.300 Stück, die in den „Lesezirkel“ gedrückt werden, und die 25.750 Bordexemplare sieht es bedrohlich aus. Der Stern verlor in den vergangenen fünf Jahren 51,2 Prozent seiner von der IVW gemessenen verkauften Auflage.

Nicht nur Jörges prangert an, daß bei den Konferenzen in Hamburg kein Vertreter des Politik-Ressorts mehr am Tisch sitze. Der Redaktionsbeirat erklärt, Politik und Wirtschaft seien „ein Herzstück“, und das lasse sich „nicht outsourcen“. Darauf zu verzichten sei „absurd“. Die Marke werde „massiv geschwächt“. Er fordert die Rücknahme aller Maßnahmen. Die Redaktion ist in  Aufruhr.

Das hat sie mit den Kollegen vom Spiegel gemeinsam. Auch beim zuletzt durch zahlreiche Lügengeschichten erschütterten Nachrichtmagazin rumort es erneut gewaltig. Die Affäre um die erfundenen Berichte des Starreporters Claas Relotius und die intern als unwahr bloßgestellte Bad-Kleinen-Enthüllung bilden dabei den Höhepunkt eines enormen Glaubwürdigkeitsverlustes.

Aktuell gibt es Streit um angebliches Mobbing gegen die Co-Chefredakteurin Barbara Hans: 136 Mitarbeiter werfen deren Chefredakteur-Kollegen Steffen Klusmann „menschlich und strategisch fatale“ Fehler vor. Es gebe einen „zerstörerischen Umgang“ mit der 39jährigen. In ihrem Unterstützungsschreiben, das Hans vor dem offenbar bevorstehenden Rauswurf bewahren soll, benutzen die Redakteure Vokabeln, die zum Haltungsjournalismus des Blattes passen. Sie seien „erschüttert, entsetzt, traurig und wütend“.

Hintergrund: Der Branchendienst Horizont hatte berichtet, daß Hans nach ihrer Rückkehr aus dem Mutterschutz keine Aufgaben mehr vorgefunden habe. Diese seien anderweitig verteilt. 

Schlammschlachten statt Enthüllungen

Der Brief war an andere Zeitungen weitergeleitet worden – ganz offensichtlich, um den internen Druck pro Hans zu erhöhen. Früher galt ein solches Vorgehen als Unding, nimmt der Ruf des Spiegel doch dadurch weiter Schaden. Auch Klusmann scheint in dem Konflikt auf außenstehende Blätter zu hoffen. 

So berichtete die taz, daß zu den Unterzeichnern nur wenige Spiegel-Führungskräfte gehörten. Lediglich drei der insgesamt 19 Chefs vom Dienst hätten unterschrieben. Bei den Ressort- und Teamleitern und deren Stellvertretern seien es noch weniger. Das Schreiben sollte als Zwergenaufstand abgetan werden.

So produziert das einst renommierte Nachrichtenmagazin (Abo- und Kioskverkauf: 528.923 Stück) abermals mehr Schlagzeilen durch Selbstzerfleischung und öffentliche Schlammschlachten als durch Enthüllungen und professionelle Berichterstattung.