© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Ostdeutsche Bücher seit 1945 im „neuen nationalen Kontext“
Polens emsige Trophäensammler
(wm)

Mit atemberaubender Dreistigkeit führt die Romanistin Vanessa de Senarclens (HU Berlin) vor, wie man die Gewaltexzesse von Polens ethnischer Säuberung Ostdeutschlands in Orwells „Neusprech“ übersetzt. Demnach habe 1945 nur eine „Verlegung der deutsch-polnischen Grenze an Oder und Neiße“ stattgefunden. Dabei seien auch Millionen von Büchern aus privaten und öffentlichen Sammlungen Hinterpommerns, Ostpreußens und Schlesiens nur „in einen neuen nationalen Kontext“ gelangt. Was im Klartext, sofern es um deutsche Untaten geht, schuldstolze Berliner „Restitutionspolitiker“ schlicht „Kunst- und Kulturraub“ nennen. Dabei verfolgte de Senarclens die Spur eines Bandes von Voltaires „La Philosophie de l’Histoire“ (1765), den polnische „Trophäensammler“ im hinterpommerschen Plathe erbeuteten und zusammen mit 13.000 Bänden der dortigen Schloßbibliothek nach Lódz verfrachteten (Merkur, 10/2020). Bis heute zählen die Bücher aus Plathe zu den Bergen an deutschen Kulturschätzen, deren Rückgabe Polen beharrlich verweigert. Obwohl sie bereits realisierte deutsch-polnische Projekte zur digitalen Erschließung dieser Bestände als unbefriedigend benotet, fällt es de Senarclens doch nicht ein, für deren Heimkehr als Königsweg zu ihrer „Re-Integration in die europäische Bibliothekslandschaft“ zu plädieren. 


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