© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Die Illusion bleibt
Mietendeckel in Berlin: Wohnungsknappheit wurde durch das Gesetz nicht bekämpft
Stefan Kofner

Heiß diskutiert und umkämpft: Vor rund einem Jahr, am 23. Februar 2020, trat in Berlin der sogenannte „Mietendeckel“ in Kraft. Inzwischen ist auch die erzwungene Absenkung der Bestandsmieten wirksam geworden. Was hat sich seitdem getan?

Wenn sich linke Regierungsparteien nun auf die Schulter klopfen, weil bislang kein Einbruch bei den Wohnungsbaugenehmigungen und -fertigstellungen bemerkbar ist, dann ist festzuhalten: Das war auch nicht zu erwarten, da alle Wohnungen, die nach dem 1. Januar 2014 bezugsfertig wurden, vom Mietendeckel formal gar nicht betroffen sind. Wegen der negativen Signalwirkungen sind aber langfristige Folgen für den weiteren Neubau von Wohnungen nicht auszuschließen.

Die Mietenentwicklung hat der Deckel derweil etwas dämpfen können. Im Bestand wurden Mietsenkungen erzwungen, wenn die Miete um mehr als 20 Prozent über dem Niveau des 2013er Spiegels lag. Die aktuellen Angebotsmieten – also die Mieten, zu denen Wohnungen in Anzeigen und Immobilienportalen angeboten werden – stagnieren auf einem Niveau um die zehn Euro pro Quadratmeter.

Der langjährige Anstiegstrend scheint damit gebrochen. Allerdings sinken nur die Angebotsmieten für vom Deckel erfaßte Wohnungen. Die Mieten für Wohnraum ab dem Baujahr 2014 sind dagegen nach oben geschossen. So verschärfte der Mietendeckel die Marktspaltung und die damit verbundenen Ungerechtigkeiten. Hinzu kommt, daß von den verordneten Obergrenzen besonders auch einkommensstarke Mieter profitieren. 

Die Mietendämpfung wurde sehr teuer erkauft – gerade aus Mietersicht, denn das Gesamtangebot an verfügbaren Mietwohnungen hat sich in Berlin schon jetzt deutlich verringert. Abgesehen von der Zeit des Wiederaufbaus war es niemals schwerer als heute, eine Wohnung in der Hauptstadt zu finden. Damit hat das Gesetz sein wichtigstes Ziel eindeutig verfehlt. 

Zwar können ältere Bestandswohnungen jetzt billiger gemietet werden, aber leider haben Wohnungssuchende kaum eine Chance, eine solche zu finden. Laut dem Suchportal „Immobilienscout24“ hat sich das Angebot an Mietwohnungen in Berlin innerhalb eines Jahres um 41,5 Prozent verringert. Bei den Baujahrgängen bis 2013 betrug der Rückgang sogar 60 Prozent – und das hat nichts mit Corona zu tun. 

Ganz wie im VWL-Lehrbuch vergrößert die Einführung oder Senkung von Höchstmieten die Angebotslücke. Die Zuteilungs- und die Marktausgleichsfunktion der Mietpreise werden also ausgehebelt. Konsequenz: Vermieter wandeln Wohnungen in Wohnungseigentum um – das Angebot an Eigentumswohnungen mit Fertigstellung vor 2014 stieg innerhalb eines Jahres um 23 Prozent – oder sie lassen die Wohnungen gleich leer stehen. 

Der Berliner Mietendeckel ist zudem extrem modernisierungsfeindlich, denn er begrenzt die Umlage von Modernisierungskosten auf einen Euro pro Quadratmeter. Abgesehen davon sind nur energiesparende und barrierereduzierende Maßnahmen umlagefähig, aber nicht zum Beispiel das Anlegen eines Spielplatzes. Diese Kappung auf einen Euro steht in völligem Widerspruch zu den Klimarettungsplänen der Bundesregierung, aber das scheint selbst die Grünen nicht zu stören. Fast 80 Prozent der Berliner Vermieter planen nun, die Ausgaben für Modernisierungen und Sanierungen zu kürzen. Ein weiteres Opfer ist damit das regionale Bauhandwerk. 

Besonders hart betroffen sind auch die Berliner Wohnungsgenossenschaften, die fast jede zehnte Wohnung besitzen, weil deren Wohnungen vor einer Wiedervermietung meistens kernsaniert werden müssen.

Grundsätzlich kann man mit den Instrumenten der Mietpreispolitik wohnungspolitische Ziele wie erschwinglicheren Wohnraum oder eine bessere soziale Mischung zwar verfolgen. Aber schwere Zielkonflikte mit ökologischen Ansinnen wie auch mit anderen wohnungspolitischen Zielen wie der Verfügbarkeit von Wohnraum, der effizienten Nutzung sowie der Instandhaltung und Modernisierung des Wohnungsbestandes oder auch der Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes sind dabei unvermeidlich.

Diese Zielkonflikte werden um so stärker, je länger, je tiefer und undifferenzierter die Mieten gedeckelt sind. Der Mietendeckel ist zwar befristet, aber der langwierige Abbau der Wohnungszwangswirtschaft in den 1960er Jahren hat gezeigt, daß man Mietpreiskontrollen politisch nur sehr schwer wiederloswird. Auf lange Sicht führt die Deckelei zu Wohnverhältnissen wie 1990 in der DDR. Sie hat keine Perspektive und zerstört die ordnungspolitische Kultur. Mietobergrenzen sind immer nur Symptombekämpfung, aber nie Ursachenbekämpfung. 

Es drohen sogar Interventionsspiralen, wie die Diskussion um Umwandlungsverbote und Enteignungen zeigt. Wenn man die Außenwanderung nicht begrenzen will oder kann, bleibt nur die Möglichkeit, den Wohnungsbau anzukurbeln. Das betrifft neben der dringend gebotenen Begrenzung der steuer- und regulierungsbedingten Baukostensteigerungen auch die Boden- und Baulandfrage. Berlin hat durchaus Flächenreserven wie das Tempelhofer Feld und riesige Kleingartenanlagen. 

Wenn man das nicht will, bleibt nur verdichten und entflechten, also Hochhäuser bauen oder Bundesbehörden und Betriebe außerhalb Berlins verpflanzen. So oder so: Es bleibt ein langer Weg, bis in Berlin eine spürbare Marktentspannung einsetzen wird. Der Mietendeckel verbreitet letztlich nur die eher schädliche als nützliche Illusion, das Problem bekämpft zu haben.






Prof. Dr. Stefan Kofner lehrt an der Hochschule Zittau/Görlitz als Wirtschaftswissenschaftler im Bereich Wohnungs- und Immobilienwirtschaft.