© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

„Zerstreut und marginalisiert“
Was ist aus der „Alt-Right“-Bewegung geworden, die 2016 neben Trump als „das neue große Ding“ der amerikanischen Rechten galt? Wie ihr Idol scheint auch sie verschwunden. Treten neue Protagonisten in ihre Fußstapfen? Alt-Right-Experte George Hawley gibt Antwort
Moritz Schwarz

Herr Professor Hawley, Präsident Trump ist Geschichte, die „Alt-Right“-Bewegung auch?

George Hawley: Die Alt-Right ist ja eine der jüngeren Erscheinungsformen der weißen nationalistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten. Ich meine aber, daß sie schon wieder aufgehört hat, als eine sinnvolle politische Gruppierung zu existieren. Wobei man sagen muß, daß ihre Größe und Bedeutung wohl immer übertrieben war. Die extreme Rechte existiert allerdings weiterhin, und rassistische und antisemitische Gewalt bleibt eine schreckliche Bedrohung.

Ist die Alt-Right denn identisch mit dem gewaltbereiten Rechtsextremismus?

Hawley: Zu Beginn diskutierten die Leute in dieser Bewegung oft über das, was sie spöttisch „Weißer Nationalismus 1.0“ nannten. Der Begriff bezieht sich auf jene weißen nationalistischen Gruppen und Einzelpersonen, die im späten 20. Jahrhundert und in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts aktiv waren.

Weshalb spöttisch?

Hawley: Weil diese Gruppen und Personen politisch nichts zu Wege brachten, völlig ineffektiv waren – ja sogar bis zu dem Punkt, an dem sie ihrer Sache mehr schadeten als nutzten. Denn sie hatten den verdienten Ruf, gewalttätig zu sein und etablierten weißen Wählern wenig zu bieten. Zudem waren sie für ihre ständigen Machtkämpfe bekannt. Und ihre Anführer versuchten, eine sektenartige Anhängerschaft zu gewinnen. In einigen Fällen bildeten diese weißen Nationalisten buchstäblich religiöse Kulte.

Davon wollte die Alt-Right doch immer weg, daher ja der Name „Alt“, kurz für „Alternative“. 

Hawley: Als ich sie zum ersten Mal untersuchte, betrachtete ich sie in der Tat als ein neues Phänomen, das einen Bruch mit ihren rechtsextremen Vorfahren darstellt, obwohl sie ja eine ähnliche Ideologie vertritt. Dabei hat die Alt-Right mehrere ideologische Strömungen, jedoch ist weiße Identitätspolitik immer der Kern ihrer Weltanschauung. Natürlich ist die Alt-Right gegen die Linke, sieht aber die etablierte Rechte, also etwa die etablierten Republikaner, als ein großes Hindernis an: In ihren Augen ist der konservative Mainstream auch ein Feind, weil er sie an den Rand gedrängt hält. Und so wollte, so ihre Analyse, die Alt-Right stets die Mainstream-Rechte besiegen, bevor sie einen wirklichen Durchbruch würde erzielen können. Dabei beruht diese Feindschaft auf Gegenseitigkeit, denn die etablierte Rechte hat in der Tat viele Jahre lang versucht, offene Rassisten an den Rand zu drängen und zu marginalisieren. Auch wenn man argumentieren könnte, daß dies heuchlerisch war, denn sie war manchmal auch rassistisch – zog es aber vor, nicht offen darüber zu sprechen.

Aber ist die Alt-Right nun eine Alternative zum amerikanischen „weißen Nationalismus“ oder nicht?

Hawley: Zu Beginn versuchte sie sich von Gruppen wie der American Nazi Party und ihren Nachfolgern abzugrenzen – auch wenn es innerhalb der Alt-Right Meinungsverschiedenheiten zu diesem Thema gab. Und kurzzeitig gelang es ihr, eine Marke zu schaffen, die auch einige Menschen ansprach, die nicht am Rande der Gesellschaft standen. Allerdings denke ich, daß auch die Botschaft der Alt-Right nie geeignet war, den typischen Amerikaner zu erreichen. Selbst sehr konservative Trump-Wähler wollen keine explizite weiße Identitätspolitik. Zudem, im nachhinein ist der Unterschied der Alt-Right gegenüber den üblichen „weißen Nationalisten“ auch weniger offensichtlich. Denn etwa Ende 2016 schienen ihre radikaleren Elemente die Oberhand gewonnen zu haben, und die Alt-Right unterschied sich immer weniger von den früheren nationalistischen Bewegungen. Die meisten Kommentatoren stellen fest, daß spätestens die vielbeachtete Demonstration „Unite the Right“ (Vereinigt die Rechte) in Charlottesville, Virginia, im Sommer 2017, bei der eine Gegendemonstrantin umkam, als sie von einem Nationalisten gezielt mit dem Auto überfahren wurde, der Moment war, in dem die Alt-Right als eine Art weiterer Ku-Klux-Klan oder „National Alliance“ angesehen wurde. Dazu muß man wissen, daß es für extreme Rechte in den USA normalerweise selbstzerstörerisch ist, in den Ruch von Gewalt zu kommen. So begann etwa nach dem verheerenden Bombenattentat von Oklahoma City 1995 die Milizbewegung zu stagnieren. Und als rassistische Gruppen in den achtziger und neunziger Jahren Gewalttaten verübten, wurden sie so verklagt, daß sie in Vergessenheit gerieten. Denn Prozesse, selbst dann wenn sie erfolglos bleiben, sind eine der effektivsten Taktiken gegen die extreme Rechte, da sie die Ressourcen der Gruppen, die bereits mit kleinsten Budgets arbeiten, aufzehren. 

Aber Sie sagten doch, die Alt-Right bestehe aus verschiedenen Strömungen. Wie groß schätzen Sie denn den tatsächlichen Anteil der Extremisten, und wie groß den der demokratischen Alt-Right?

Hawley: Ich bin mir nicht sicher, wie ich Ihnen diese Frage beantworten kann, denn jede Antwort, die ich gebe, würde wahrscheinlich den Grad übersteigen, in dem die Alt-Right jemals in dieser Frage geeint war. Die führenden Stimmen der Alt-Right würden wahrscheinlich als extremistisch eingestuft werden, in dem Sinne, daß sie wenig Interesse an der liberalen Demokratie an sich haben. Aber es stimmt, diese Leute stehen nicht für alle, die mit der Alt-Right sympathisieren. Oft ist es allerdings auch schwer, zu beurteilen, wo Alt-Right-Vertreter tatsächlich stehen.

Warum?

Hawley: Weil sie sich gern auf ironische Art und Weise präsentieren, was natürlich Fragen bezüglich ihrer Aufrichtigkeit aufkommen läßt. Es ist nicht immer klar gewesen, ob ein Alt-Right-Anhänger, der eine rassistische oder antisemitische Botschaft verbreitet, das innerlich auch so meint, oder nur mit Unerhörtem schockieren wollte. Viele derer etwa, die Hakenkreuze und Bilder von Gaskammern online stellten, schienen mehr daran interessiert zu sein, die letzten Tabus der Gesellschaft zu brechen, als echte Drohungen auszusprechen. Ja, zuweilen präsentierten sich Elemente der Alt-Right eher als eine Art kantige, rechte Hofnarren denn als ernsthafte Ideologen. Dies verschaffte der Bewegung ein Moment, ihren Radikalismus plausibel zu bestreiten. Und es ermöglichte, bei jungen Leuten anzukommen, die die sogenannte Politische Korrektheit verachten, aber ansonsten nicht besonders ideologisch sind. Erinnern wir uns zum Vergleich an die weißen Nationalisten zuvor: Sie ließen nie einen Zweifel daran, daß sie jedes Wort, das sie sagten, bitter ernst meinten. 

Haben die Medien zur Radikalisierung der Alt-Right beigetragen, indem sie sie von vornherein insgesamt als extremistisch dargestellt haben, oder wurde fair über sie berichtet?

Hawley: Wissen Sie, Fairneß ist ein subjektiver Begriff, und wahre Objektivität im Journalismus ist nicht wirklich möglich. Ich bin zweifellos nicht mit allem einverstanden, was die Medien über verschiedene Gruppen sagen, aber ich bin auch nicht bereit, eine pauschale Aussage zu dieser Frage zu machen. Doch wie auch immer, heute bezeichnen sich nur noch wenige als Alt-Right. Der Begriff ist nicht mehr weit verbreitet, auch nicht in der amerikanischen extremen Rechten.

Warum nicht, wenn sie, wie Sie eben geschildert haben, doch so erfolgreich neue Strategien entwickelten? 

Hawley: Oh, so neu sind sie nicht. So gab es etwa sogar einen farcenhaften Aspekt im Ku-Klux-Klan der Reconstruction-Ära direkt nach dem Bürgerkrieg.  Auch kleideten sich Klansmänner manchmal in Frauenkleider, um ehemalige Sklaven zu verfolgen. Und allgemein gilt ja, die berüchtigten Klankostüme mit ihren Kapuzen sollten andere einschüchtern und die Identität der Mitglieder verbergen. Es gab aber auch noch einen weiteren Grund, so diente laut der Historikerin Elaine Frantz Parsons die absurde Natur der Kutten und Titel des Klans auch dazu, die Nordstaatler die Angriffe des Klans „als theatralisch und nicht als politisch oder militärisch verstehen“ zu lassen. Parsons merkte auch an, daß der ursprüngliche Ku-Klux-Klan „eng mit zeitgenössischen populär-kulturellen Formen und Institutionen verflochten war“. Oder nehmen Sie George Lincoln Rockwell von der American Nazi Party. Der Sohn eines Varieté-Komödianten propagierte in den sechziger Jahren eine so extreme Form des Rassenhasses, daß man sich schon fragen konnte, ob er es wirklich ernst meinte. Und seine ostentativen, absurden Formen des Auftretens brachten ihm weit mehr Aufmerksamkeit ein, als es seine kleine Truppe sonst je verdient hätte. Doch zurück zu Ihrer Frage, warum sich nur noch wenige als Alt-Right bezeichnen wollen. Inzwischen finden sie die meisten Amerikaner, einschließlich der Trump-Anhänger, geschmacklos. Allerdings denken die meisten Amerikaner wohl auch nicht über die Alt-Right nach beziehungsweise wissen nicht viel über sie.

Wo ist die Alt-Right hin, ist sie in der Trump-Bewegung aufgegangen? 

Hawley: Nun, die typischen Trump-Wähler werden zugeben, daß sie gegen Einwanderung, aber die meisten werden auch darauf bestehen, daß sie nicht rassistisch eingestellt sind. Das ist bei der Alt-Right anders, die die Rasse in den Mittelpunkt ihrer Weltanschaung stellte.

Heute ist der 22jährige Influenzer Nick Fuentes der neue Star der Bewegung. Ist er der Erbe der Alt-Right?

Hawley: Ich glaube, Fuentes würde sich selbst nicht mehr als Teil der Alt-Right bezeichnen. 

Das stimmt, er lehnt die Bezeichnung ab. Aber ist er dennoch nicht ihr Erbe?

Hawley: Fuentes versucht mit „America First“ eine eigene Marke für sich zu schaffen, auch wenn er in der Tat eine ähnliche Ideologie vertritt.

Wofür steht Fuentes Ihrer Ansicht nach, ist er „weißer Nationalist“ oder tatsächlich ein alternativer Rechter? 

Hawley: Die Beantwortung dieser Frage würde verlangen, über seine Motive und seine Agenda zu spekulieren, und ich fühle mich nicht wohl dabei, auf diese Weise meine Aussagen zu treffen.

Fuentes Opposition besteht ja, abgesehen von kleinen Demos und davon, daß er seine Anhänger, die sogenannten „Groyper“, zu Veranstaltungen der etablierten Rechten schickt, wo sie mit provozierenden Fragen für Irritationen sorgen sollen, vor allem aus seiner täglichen Internet-Show und dem Vertrieb seiner „America First“-Werbeartikel. Ist solch eine hauptsächlich virtuelle Opposition überhaupt ernst zu nehmen?

Hawley: Auch die Alt-Right-Bewegung war hauptsächlich ein Online-Phänomen. Und in der Tat, Bemühungen, Alt-Right-Organisationen in der realen Welt zu gründen, waren meist erfolglos. Andererseits aber findet ein Großteil des politischen Diskurses heute ja online statt. Daher würde ich nicht sagen, daß Online-Bewegungen nicht ernst genommen werden müssen.

Welchen Einfluß haben dann Fuentes und andere junge Vertreter der neuen alternativen US-Rechten, wie etwa Patrick Casey oder Jaden McNeil, tatsächlich? 

Hawley: Kein Zweifel, eindeutig haben die politischen Kommentatoren der Mainstream-Konservativen, denken sie etwa an Ben Shapiro oder Tucker Carlson, ein viel größeres Publikum und natürlich auch den weit größeren Einfluß als Leute wie Fuentes oder Casey.

Wie steht es also um die Zukunft der US-Rechten, wer gewinnt das Duell, das Fuentes und Co. gerne mit den Etablierten, die sich weigern, mit ihren Herausforderern zu reden, austragen würden? 

Hawley: Ich vermute, daß in nächster  Zukunft mehr die Mainstream-Konservativen die Republikanische Partei dominieren werden. Denn die Alt-Right und ihre Nachfolger sind noch zerstreut und marginalisiert. Was aber die ferne Zukunft anbelangt, da vermag ich natürlich nur zu spekulieren, was ich aber nicht tun möchte.

Als der eigentliche Kern der politischen Phänomene in den USA werden tiefgreifende soziologische Umbrüche in der Gesellschaft gesehen, vor allem die Desintegration zwischen dem Establishment und immer mehr, sich als abgehängt betrachtenden, Normalbürgern – manche sagen auch zwischen Stadt und Land. Wohin wird das führen, ja ist gar, wie manche glauben, eine neue Sezession denkbar? 

Hawley: Nein, eine neue Sezession wird es sicherlich nicht geben. Es könnte neben Demokraten und Republikanern eine neue dritte Partei entstehen, aber ich denke, es würde ihr nicht gelingen, letzteren viele Wähler abzujagen. Denn die parteipolitische Identität ist eine starke Kraft in der amerikanischen Politik. Wenn allerdings eine dritte Partei einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an Wählerstimmen erhalten sollte, dann wären die Demokraten Hauptnutznießer. Viel hängt auch mit dem viel breiteren Thema der allgemeinen Entwicklung des Rechtspopulismus zusammen. Das ist ein unglaublich wichtiges Thema, dem es auch künftig viel Aufmerksamkeit zu widmen gilt. 






Prof. Dr. George Hawley, der Politologe an der Universität Alabama ist Experte für die US-Rechte, über die er etliche Bücher verfaßt hat. Er schrieb zudem in der New York Times, Washington Post oder der Zeit. 

Foto: Trump-Anhänger: „Selbst sehr konservative Donald-Trump-Wähler wollen keine explizite weiße Identitätspolitik“

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