© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Die Knappheit selbst verursacht
Wohnungsmarkt: Der Berliner Mietendeckel entlastet vor allem Bestandsmieter / Sorge um Investitionen
Paul Leonhard

Zwischen 2004 und 2019 verdoppelten sich die Berliner Wohnungsmieten von durchschnittlich 5,14 auf 10,12 Euro – massiver Zuzug und die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände forderten ihren Tribut. Die 2015 eingeführte Mietpreisbremse schaffte wenig Entlastung.

Der Berliner Mietendeckel scheint zu wirken: Schätzungsweise 340.000 der 1,5 Millionen Haushalte erhielten 2020 von ihren Vermietern Schreiben, in denen ihnen eine Mietpreissenkung mitgeteilt wurde. Allein 30.000 solcher Briefe mußte voriges Jahr die in den Dax aufgestiegene Deutsche Wohnen SE verschicken, mehr als 14.000 der Marktführer Vonovia SE.

An deren derzeit 415.000 Wohnungen haben Dax-Investoren seit 2015 blendend verdient. Im September stieg die aus der Privatisierung der Eisenbahnerwohnungen hervorgegangene Vonovia sogar in den EuroStoxx50 auf – zu den „fünfzig wertvollsten börsennotierten Unternehmen des Euroraums“, wie Vorstandschef Rolf Buch stolz mitteilte. Daß das rot-rot-grüne Gesetz sogar zu einem Sinken der Angebotsmieten um fünf Prozent führt, wie das Wohnportal Immowelt prognostiziert, scheint die Börseneuphorie nicht zu dämpfen.

Vielleicht hoffen Anleger darauf, daß eine Normenkontrollklage von CDU- und FDP-Bundestagsabgeordneten vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Erfolg hat – Argumentation: Mietrecht sei Sache des Bundes. 27 Wohnungsbaugenossenschaften monieren, der Mietendeckel greife „massiv in Grundrechte und bestehende Verträge“ ein. Im zweiten Quartal sollen die Karlsruher Richter entscheiden. Einen Eilantrag von Vermietern gegen den Mietendeckel hatte das BVerfG vor einem Jahr verworfen.

Das „Volksbegehren #6JahreMietenstopp“ sammelte zwar fleißig Unterschriften zwischen Würzburg und Regensburg (JF 2/20), doch der Bayerische Verfassungsgerichtshof stoppte die Initiative: Ihr Ziel sei nicht mit Bundesrecht vereinbar. Auch hier soll das BVerfG entscheiden. Dabei ist die Situation in München noch dramatischer: 18,61 Euro pro Quadratmeter für eine 60 bis 80 Quadratmeter große und maximal zehn Jahre alte Wohnung wurden hier 2020 verlangt. Es folgten Frankfurt (15,53), Stuttgart (14,68) und Hamburg (13,38). Berlin (13,23) lag knapp vor Düsseldorf (13,19). Die Unistädte Freiburg, Heidelberg und Mainz lagen mit etwa 13,10 Euro dicht beieinander.

Rechnet man in Berlin auch Alt- und DDR-Plattenbauten hinzu, wurden vor Einführung des Mietendeckels etwa 11,10 Euro pro Quadratmeter gefordert, laut Immowelt-Berechnung dürften es nun etwa 8,70 Euro sein. Doch die von Flüchtlingsorganisationen, Kirchen und rot-grünen Politikern verbreitete Parole „Wir haben Platz“ dürfte Wohnungssuchenden in deutschen Großstädten wie Hohn vorkommen. Selbst in „sozialen Brennpunkten“ der 3,7-Millionen-Metropole Berlin sind immer weniger Mietwohnungen frei. Denn der Mietendeckel entlastet vor allem Bestandsmieter.

Mehr Baukapazitäten und motivierte Bauträger nötig

Das bestätigt eine Studie des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken (VDP). „Mieter, die nur deshalb einen Neubau beziehen, weil sie keine ‘gedeckelte’ Wohnung finden, zahlen eine deutlich höhere Miete als Mieter in Altbauten“, erklärte VDP-Geschäftsführer Jens Tolckmitt. Zudem sei der staatliche Eingriff in den Mietmarkt schlecht für den Klimaschutz: Der Altbaubestand würde von den Investoren nicht mehr in dem Maße modernisiert, wie es zur Erreichung der ambitionierten politischen Ziele notwendig wäre.

Der schwedische Immobilieninvestor Akelius, dem in Berlin etwa 14.000 Wohnungen gehören, bietet in ausgewählten Objekten inzwischen Miet- als Eigentumswohnungen an. Bisher hatte die Firma ältere Bestandswohnungen erworben, um sie teuer zu sanieren. Akelius-Europachef Jordan Milewicz befürchtete im Handelsblatt sogar, daß sich in Berlin ein Schwarzmarkt für Wohnungen ähnlich dem in Stockholm entwickle.

Der Markt werde zunehmend intransparent, warnt auch Michael Schick, Präsident des Immobilienverbandes Deutschland (IVD). Wohnungen würden „unter der Hand“ an Nachmieter vergeben, ohne daß es ein öffentliches Angebot gebe. Zudem würden frei werdende Wohnungen aufgrund der Unsicherheit über die Konditionen oft zunächst nicht weitervermietet. Die Besitzer würden auf die BVerfG-Entscheidung warten und erst dann entscheiden, ob sie vermieten oder lieber verkaufen.

Der rund 740.000 Wohnungen repräsentierende Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen beklagt 900 Millionen Euro Einnahmeverluste. Werde der Mietendeckel in Karlsruhe bestätigt, würden in den kommenden fünf Jahren 4,5 Milliarden Euro weniger in den Bestand investiert. Ähnlich argumentiert der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Der Grüne hält den Mietendeckel „für rechtlich fragwürdig und in der Sache für kontraproduktiv“. Er widersprach damit Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), der nach Berliner Vorbild so den Mietpreiserhöhungen Einhalt gebieten wollte.

Ob der Berliner Bauboom trotz Mietendeckel anhält, ist ungewiß. Die Mietpreisbremse war hingegen kein Hindernis: 18.999 Wohnungen wurden 2019 fertiggestellt, fast so viele wie in Hamburg, Köln und München zusammen. 2015 waren es nur 10.722 gewesen. Im Boomjahr 1997 waren hingegen – in Erwartung des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin – sogar 32.965 Wohnungen fertiggestellt worden. Doch dafür brauche es „einerseits Baukapazitäten und andererseits motivierte Bauträger“, so VDP-Immobilienexperte Franz Eilers.

 „Auswirkungen des Berliner Mietendeckels“

 www.pfandbrief.de

 Meinungsbeitrag Seite 2





Gesetz zur Mietenbegrenzung in Berlin

Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) wurde am 30. Januar 2020 von der rot-rot-grünen Senatskoalition gegen die Stimmen von CDU, AfD und FDP beschlossen. Am 23. Februar trat der „Mietendeckel“ formal für fünf Jahre in Kraft, am 2. April wurden die Ausführungsvorschriften veröffentlicht, seit 23. November sind die Regelungen wirksam. Ausgenommen sind Neubauwohnungen, die ab 1. Januar 2014 erstmals bezugsfertig waren, geförderte Sozialwohnungen und Wohnheime. Für die anderen etwa 90 Prozent der Berliner Mietwohnungen werden die Mieten auf dem Stand vom 18. Juni 2019 „eingefroren“ (Mietenstopp). Für nach dem Stichtag geschlossene Mietverträge darf höchstens die Vormiete derselben Wohnung bzw. die niedrigere Mietobergrenze (maximal 9,80 Euro pro Quadratmeter) verlangt werden. Ab 2022 sollen Mietanpassungen von bis zu 1,3 Prozent jährlich möglich sein. Verstöße gegen den Mietendeckel können mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 Euro geahndet werden. (fis)

 mietendeckel.berlin.de