© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Konventionelle Landwirte nicht mehr systemrelevant
Agrarpolitik: Trotz Bauern-Protest verabschiedet das Bundeskabinett sein Insektenschutzpaket / „Freie Bauern“ gegen „verwirrte Veganer“?
Christian Schreiber

Seit 2019 demonstriert die Initiative „Land schafft Verbindung“ (LsV) mit ihren Traktoren in vielen Städten gegen die Agrar- und Umweltpolitik der Bundesregierung und der EU. Seit Ende Januar waren die Bauern wieder in Berlin, auch der Februarschnee hat die jedes Wetter gewöhnten Landwirte nicht vertreiben können. Doch weder das Agrarpaket noch die Düngeverordnung konnten verhindert werden.

Vorige Woche hat das Bundeskabinett das Insektenschutzpaket beschlossen. Es besteht aus einer Verschärfung des Bundesnaturschutzgesetzes und der Pflanzenschutzmittelanwendungsverordnung. Damit versuche „die Koalition noch auf den letzten Metern vor der Bundestagswahl im Herbst, ihre jahrelangen Versprechungen zum Insektenschutz umzusetzen“, erklärte Olaf Bandt, Chef des Bunds für Umwelt und Naturschutz.

Damit erklärt Bandt auch, warum der Trecker-Corso vergeblich war: 1990 gab es noch 629.700 Höfe. Die Bauernfamilien waren noch wahlentscheidend. 2020 gab es bundesweit noch 266.700 Agrarbetriebe – Tendenz sinkend. Die meisten Erntehelfer sind Ausländer und nicht wahlberechtigt. Doch allein das Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“ erhielt 1,74 Millionen Unterschriften. Sprich: 18,3 Prozent der Bürger beeindruckte 2019 die von ÖDP, Grünen und Umweltschützern gestartete Kampagne „Rettet die Bienen“!

Dies sei „eine Richtungsentscheidung zu einer modernen, nachhaltigen Agrarökologie, die tatsächlich die Herausforderungen von Artenschwund und Klimawandel aufnimmt“, erklärte CSU-Ministerpräsident Markus Söder anläßlich der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes im Münchner Landtag – nur fünf Monate nach der Unterschriftenauszählung. „Fairerweise müssen wir sagen, daß jetzt mehr umgesetzt wird, als wir uns selbst am Anfang erwartet haben“, fand sogar ÖDP-Vizechefin Agnes Becker.

Herbizidverbot schränkt deutschen Ackerbau ein

Die zu Anfang der Corona-Pandemie von der Regierungspolitik beschworene „Systemrelevanz“ der Landwirte zählt da wenig: Außer einigen Lieferschwierigkeiten bei Milchprodukten im Frühjahr 2020 haben die ins Homeoffice geflohenen Klima- und Umweltaktivisten keine Not gelitten. Die Bauern haben unverdrossen weiterproduziert. Die bundesweit 2,4 Millionen Beschäftigten im Gastgewerbe oder die 140.000 Friseure sind längst wahlentscheidender – deswegen wurde coronabedingt die Kurzarbeit massiv ausgeweitet und das Hartz-IV-System temporär an weniger Bedingungen geknüpft.

Die etwa 20.000 Biohöfe betrifft das Biozidverbot in Schutzgebieten, der Ausstieg aus der Glyphosat-Nutzung oder die Problematik der Gewässerrandstreifen nicht, aber sie bewirtschaften nur sieben Prozent der Agrarfläche in Deutschland. „Besonders das Verbot von Herbiziden, also Mitteln gegen Unkraut, schränkt den Ackerbau sehr ein“, erklärte Sebastian Schramm, Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Fulda-Hünfeld. „Die Betriebe würden faktisch gezwungen werden, ihre Flächen ökologisch zu bewirtschaften. Doch für diese Produkte fehlt es noch an Abnehmern.“

Das gesteht sogar das Umweltbundesamt ein: Biolebensmittel seien mit einem Marktanteil von knapp sechs Prozent in Deutschland „Nischenprodukte“. Und selbst die kommen bei Aldi, Lidl & Co. oft aus dem Ausland. Und die riesigen „gespritzten“ Mais- oder Rapsfelder sind nicht der Liebe zur mexikanischen Küche und dem kräftigen Pflanzenöl geschuldet: Als „erneuerbare“ Energiepflanzen sollen sie die deutsche CO2-Bilanz schönen. Daß Strom aus Biomasse und Ökosprit das Klima retten soll und manchem pfiffigen Bauern das Konto füllt, ist rein gesetzlich bedingt.

Die Ausnahmen für das Herbizid-Verbot – etwa im Gemüse- und Obst­anbau, bei der Saatgutvermehrung, bei Hopfen oder Wein – und die teilweise Freiwilligkeit der Insektenschutzmaßnahmen stehen zudem unter Vorbehalt: Es drohe „ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren durch die EU, wenn Deutschland den Verpflichtungen aus der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie nicht nachkommt“, warnte Christiane Huxdorff von Greenpeace. „Dann sind viel stärkere Einschränkungen und umfassende Pestizidverbote unumgänglich.“

Schon 2016 hatte die EU-Kommission Deutschland wegen hoher Nitratbelastung des Grundwassers in einigen Agrarregionen verklagt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) gab Brüssel 2018 recht. Allerdings hatte der Bund damals bereits das Düngerecht entsprechend geändert. Aber erst ab 2025 ist die breitflächige Ausbringung von Gülle im Grünland fast vollständig verboten. Jede Einzelmaßnahme läßt sich ökologisch sinnvoll begründen – das alles zusammen bringt aber immer mehr Bauern in Existenznöte, denn auf dem EU- und Weltmarkt werden artenreiches Grünland und Streuobstwiesen nicht honoriert.

Unterstützung für die Bauern kommt bundespolitisch nur von FDP und AfD. Doch zumindest die „rechte“ Unterstützung ist einigen LsV-Aktivisten unangenehm, es gibt deshalb Streit. Davon hofft die in Halle ansässige Bewegung „Freie Bauern“ zu profitieren, die nicht nur das Insektenpaket, sondern auch Agrarkonzerne, Freihandelsabkommen, eine Neuauflage der Gentechnik oder patentierbare Züchtungen ablehnt. Linksgrün ist das allerdings nicht gemeint: „Wir lassen uns nicht in die Produktion reinreden von scheinheiligen Tierschützern und verwirrten Veganern“, heißt eine weitere drastische Forderung.

 landschafftverbindung.de

 www.freiebauern.de

 www.bauernverband.de