© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Soziologen-Tips fürs mentale Fitbleiben in der Spätmoderne
Sich einfach erfüllte Zeit gönnen
(dg)

Dem US-Ingenieur und Begründer der Arbeitswissenschaft Frederick Winslow Taylor (1856–1915) ging es nicht um langsamen, sondern um möglichst schnell zu erzielenden Gewinn. Darum präsentierte er Fabrikherren 1911 seine „Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“, die detaillierte Vorschläge zur sparsamsten, die „Prosperität“ steigernden Ausnutzung der Arbeitskraft enthielten und den Produktionsprozeß einem strengen, kostensenkenden Zeitregime unterwerfen sollten. Seit 1924 fanden Taylors Ideen durch den Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung (REFA) auch in der deutschen Wirtschaft und Verwaltung Eingang. Das bei Arbeitnehmern wenig beliebte „Refa-System“ war ein Vorläufer perfektionierter Prozesse des digitalisierten Zeitmanagements. Für den Soziologen Andreas Reckwitz (HU Berlin), der darin seinem großen Fachkollegen Max Weber (1864–1920) folgt, steht solche „Rationalisierung der Zeit“ im „Zentrum der Moderne“, die dem Imperativ „Zeit ist Geld“ gehorche (Forschung & Lehre, 12/2020). So daß die effiziente, extensive Ausnutzung dieser knappen Ressource alle sozialen Praktiken dominiert. Mithin kämen sämtliche Lebensformen unter die Räder „unerhörter Beschleunigung“. Das könne man zwar so kulturkritisch wie ohnmächtig beklagen. Konstruktiver aber gehe damit um, wer sich eine „Intensivierung des Zeiterlebens“ in der „Erfülltheit des singulären Moments in Kunst, Naturerfahrung oder romantischer Liebe“ gönne. Faktisch recht luxuriöse Auswege, die der Elfenbeinturmbewohner Reckwitz in der „Spätmoderne“ jedoch als alltagstauglich auch „jenseits künstlerischer Subkulturen“ empfiehlt. 


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