© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

CD-Kritik: Richard Wagner, Christian Thielemann
Wahn & Mittelmaß
Jens Knorr

In keiner Oper Richard Wagners gehen Vernichtung und Utopie so unvermittelt in Identität über wie in den „Meistersingern von Nürnberg“, oft als „Komische“, „Volks-“ oder „Festoper“ apostrophiert. Von der Salzburger Festspielaufführung unter Toscanini (1937) abgesehen, hat sich kaum eine Aufführung danach den wahnsinnigen Widersprüchen einer Partitur gestellt, deren Aktualität sich aus eben jener deutschen Misere speist, die Wagner erst in der Revolution, schließlich im Luftreich des Traums zu überwinden suchte.

In dem Verschnitt zweier Vorstellungen während der Salzburger Osterfestspiele 2019 läuft die Staatskapelle Dresden dem Notentext und selbst in gelungenen Momenten immer nur erfüllten Augenblicken hinterher, setzt selbst aber nur wenige frei. Den Bildern im opulenten Beiheft zufolge war die Szene ins Nürnberger Theatermilieu verlegt und dieses zum Nabel der Welt stilisiert. Sollte sie mehr als nur harmlose bundesdeutsche Soziologenoberfläche geboten haben, bekommt das Ohr auf der Klangbühne kaum etwas von dem zu hören, was das Auge sich in den Aufführungen vielleicht noch hinzusehen konnte.

Das Sängerensemble parliert, als dürften die Figuren in herrschaftsfreiem Diskurs jederzeit aushandeln, was innerhalb des Machtgefüges der Meistersingerstadt Nürnberg doch längst vorentschieden steht.

Richard Wagner Die Meistersinger von Nürnberg Edition Günter Hänssler Profil, 2020 www.haensslerprofil.de