© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Kriegsentscheidend ohne Kriegseintritt
Am 18. Februar 1941 verabschiedeten die USA das Leih- und Pachtgesetz zugunsten der deutschen Kriegsgegner
Thomas Schäfer

Im Dezember 1940 äußerte der gerade zum zweiten Male wiedergewählte US-Präsident Franklin Delano Roosevelt mit Blick auf Amerikas Verbündeten Großbritannien, der militärisch mit dem Rücken zur Wand stand: „Angenommen, das Haus meines Nachbarn brennt und ich habe einen Gartenschlauch. Wenn er meinen Gartenschlauch nehmen kann, kann ich ihm helfen, sein Feuer zu löschen. (...) Ich sage ihm vor dieser Operation nicht: ‘Nachbar, mein Gartenschlauch hat mich 15 Dollar gekostet; Sie müssen mir 15 Dollar dafür bezahlen.’ Ich will keine 15 Dollar – ich will meinen Gartenschlauch zurück, nachdem das Feuer vorbei ist.“

Mit diesem auf die amerikanische Mentalität zugeschnittenen Gleichnis warb der Präsident für das Leih- und Pachtgesetz (offiziell: An Act to Promote the Defense of the United States), welches es den USA künftig ermöglichen sollte, kriegswichtiges Material an Großbritannien und andere Staaten zu liefern, die gegen die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan kämpften. Und Roosevelts Kalkül ging auch tatsächlich auf: Zwar sprachen sich damals nur 15 Prozent der Amerikaner für eine Beteiligung am Krieg gegen Hitler und Mussolini aus, gleichzeitig hielten es aber siebzig Prozent für angemessen, dem bedrängten „Gartennachbarn“ Churchill aus der Bredouille zu helfen, obwohl das de facto ebenfalls auf eine Kriegserklärung hinauslief. Oder um bei Roosevelts Bild zu bleiben: Aus dem geliehenen Schlauch sollte kein Löschwasser fließen, sondern Öl, welches das Feuer noch weiter anfachte.

Darüber hinaus sah das Gesetz auch keineswegs vor, daß Amerika den Gartenschlauch nach Abwendung der Gefahr gegen ein paar Dankesworte und ein kühles Bier am Zaun zurücknimmt, womit die Sache dann erledigt gewesen wäre. Vielmehr sollten sehr wohl Kosten für die scheinbar so selbstlose Zurverfügungstellung der Rettungsmittel anfallen, wobei man die Modalitäten der Endabrechnung vom Ermessen der USA beziehungsweise dem Wohlverhalten der jeweils Unterstützten abhängig machen wollte. 

Welches Erpressungspotential diese Regelung barg, zeigte sich beispielsweise im Frühjahr 1947, als Washington Moskau eine Bilanz der Hilfeleistungen präsentierte und hoffte, Stalin damit zu mehr Nachgiebigkeit gegenüber dem Westen zu veranlassen: Die UdSSR habe Material im Werte von fast elf Milliarden US-Dollar erhalten, aber nur Gegenleistungen in Höhe von 7,3 Milliarden erbracht, wobei sie das amerikanische Konto nicht nur mit Rohstofflieferungen, sondern auch mit Posten wie den Löhnen der sowjetischen Lotsen belastet habe, unter deren Aufsicht die US-Hilfsschiffe in russische Häfen eingelaufen seien. Allerdings blieb es damals bei der dilatorischen Antwort aus dem Kreml, man werde die Sache prüfen.

Die größten Nutznießer des Pacht- und Leihgesetzes, welches am 18. Februar 1941 vom Kongreß verabschiedet wurde und am 11. März des gleichen Jahres in Kraft trat, waren neben der UdSSR das britische Commonwealth, an das Lieferungen im Werte von fast 31,4 Milliarden Dollar gingen, und Frankreich beziehungsweise dessen Kolonien, die noch Widerstand gegen die Achsenmächte leisteten – allerdings wendeten die USA im letzteren Falle nur 3,2 Milliarden auf. Es folgten China, die südostasiatischen Außenposten der Niederlande, Belgien, Griechenland, Norwegen und 28 weitere Staaten, wobei sich die Gesamtsumme der Lieferungen in alle Welt auf 48,4 Milliarden Dollar belief.

Hilfsgüter aus den USA

Was dabei im einzelnen aus den USA kommen konnte, zeigt exemplarisch die Auflistung der Güter, welche ab dem Sommer 1941 in der UdSSR eintrafen: 14.795 Kampfflugzeuge, 7.056 Panzer, 8.218 Flak-Geschütze, 131.633 Maschinengewehre, 428.900 Kraftfahrzeuge, 13.000 Lokomotiven und Güterwagen, 90 Frachtschiffe und 302 U-Bootjäger oder Torpedoboote. Dazu des weiteren noch 15,4 Millionen Armeestiefel, 2,5 Millionen Tonnen Stahl, 728.000 Tonnen Nichteisenmetalle, 3,2 Millionen Tonnen Chemikalien, 1,5 Millionen Kilometer Telefonkabel, 35.000 Funkstationen sowie 30 Prozent aller benötigten Reifen und Sprengstoffe, 56 Prozent des neu verlegten Schienenmaterials, 58 Prozent des Flugbenzins und mehr als vier Millionen Tonnen Lebensmittel.

Im Falle des britischen Empire waren die Lieferungen absolut kriegsentscheidend. Ohne diese hätten die Achsenmächte Großbritannien aushungern, seiner Kolonien berauben und zu einem schmachvollen Unterwerfungsfrieden nötigen können. Hingegen bleibt offen, ob es sich im Falle der UdSSR genauso verhielt. Manche Historiker verweisen darauf, daß der Wert der überlassenen Güter bis zu zehn Prozent des sowjetischen Bruttosozialproduktes der Jahre von 1942 bis 1944 entsprach. Zudem habe der Wagenpark der Roten Armee, welcher eine Voraussetzung für den schnellen Vormarsch ab 1943 nach Westen gewesen sei, bei Kriegsende immerhin zu einem Drittel aus US-Fahrzeugen bestanden. Andere hingegen sehen den sowjetischen Sieg in der Schlacht von Stalingrad als den maßgeblichen Wendepunkt des Krieges – und dieser Triumph sei Stalins Truppen praktisch noch ganz ohne die aus den USA gelieferten Hilfsgüter gelungen.