© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Der Flaneur
Waldlauf mit Hindernissen
Holger Ziehm

Es ist ein trüber Nachmittag, nur drei Grad. Es wird früh dunkel werden heute. Mein innerer Schweinehund sagt zu mir: „Mache dir doch einen schönen Tee und setze dich auf die Ofenbank.“ Aber Minuten später laufe ich los, habe mich überwunden. 

Kurz hinter unserem Haus bin ich schon im nassen Eifelwald verschwunden. Langsam laufe ich mich ein. Hinter einer Biegung des Waldweges kommen mir zwei Leute entgegen. Hier ist sonst nie jemand. Wir sind noch etwa hundert Meter auseinander.

Zwischen der riesigen Maske und der Kopfbedeckung sieht man nur zwei Augen.

Die beiden sind stehengeblieben und machen sich an irgend­etwas zu schaffen, das ich nicht erkenne. Ich habe meine Brille nicht auf, und das Licht ist nicht so gut. Vielleicht haben sie eine kleine Fichte oder ähnliches ausgegraben und ich soll es nicht sehen. Die beiden drehen mir auffällig den Rücken zu, stehen ganz am Rande des Weges. 

Ich weiche automatisch frühzeitig nach rechts aus, um zu signalisieren: Geht ruhig weiter, es ist Platz genug hier. Ich komme näher und sehe nun das Mysterium. Der Mann kämpft mit einer unförmigen Maske aus filzigem, grünem Stoff, die er sich ungeschickt aufzusetzen versucht. Seine Frau ist bereits voll vermummt für das kurze Passieren eines Sportlers auf einem Waldweg, den auch breite Traktoren schon mal entlangfahren. 

Sie drehen sich widerstrebend ein Stück zu mir, um meinen Gruß zu erwidern. Jetzt hat der Mann es auch geschafft. Außer der riesigen Maske und der Kopfbedeckung sieht man lediglich ein paar ängstliche Augen und einige Haarbüschel. „Das kriegt man aber hier im Wald gar nicht“, rufe ich ihnen freundlich zu und trabe weiter. Eine Stunde später ist mein Waldlauf beendet und ich bin wieder an unserem Haus. Ich fühle mich herrlich: „Geschafft!“ Schnell die Laufschuhe ausziehen und rein ins Haus. Drinnen berichte ich meiner Frau von dem Erlebnis im Wald. Sie grinst und setzt Teewasser auf. Ich lasse mich auf die Ofenbank fallen.