© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Geheime Gespräche
Geopolitik im Nahen Osten: Es kündigen sich Bündniswechsel an
Jürgen Liminski

Das ist kein Zufall mehr. Seit fünf Wochen sind bei den Einsätzen der israelischen Luftwaffe auf Waffen- und Munitionsdepots sowie Raketentransporte in Syrien mehr als hundert iranische Söldner und Revolutionswächter getötet worden, aber kein einziger syrischer Soldat. Auch bei den Russen sind keinerlei Verluste zu beklagen. Das war vorher anders. Und das ist auch in Teheran aufgefallen.

Man fürchtet Absprachen zwischen den militärischen Führungen in Israel und Syrien und zwar unter Vermittlung der Russen. Die Befürchtung ist berechtigt, und in arabischen und israelischen Medien wird auch munter über einen Allianzwechsel Syriens spekuliert. Als erste Nachrichtenagentur hatte die in Metula am Rande Israels ansässige Mena darüber berichtet. 

Es wäre eine Sensation mit Folgen für die gesamte Region. Die Spekulationen entbehren nicht faktischer Grundlagen, und sowohl Rußland als auch das Regime Assad haben ein Interesse daran, sich von Iran zu lösen. Die Aktivitäten Teherans haben Syrien in der arabischen Welt isoliert. Assad aber will wieder in den Kreis der Arabischen Liga. Und über Damaskus will auch Moskau seinen Einfluß in diesem Kreis stärker zur Geltung bringen. 

Die Gelegenheit ist günstig, denn die neue amerikanische Regierung zaudert und weiß nicht, wie sie mit dem geopolitischen Erbe Trumps in der Region umgehen soll. Das Regime Assad ist erschöpft. Zehn Jahre Bürgerkrieg haben das Regime an den Rand der Existenz geworfen, das Land ist zu drei Viertel zerstört, die geschrumpfte Armee wird das Regime nicht ewig halten können, die Iraner sind mehr eine Belastung als eine Stütze. Kurzum: Ohne Hilfe von außen, aus dem Westen und der arabischen Welt, ist ein Wiederaufbau und damit der Machterhalt nicht denkbar. 

Es wird zu dem Wechsel kommen. Die Geheimgespräche sind schon weit gediehen, am Ende könnte ein Friedensvertrag zwischen Israel und Syrien stehen – vermittelt von Putin. Die Folge: Das Regime in Teheran wird sich noch stärker im Irak engagieren und die Zusammenarbeit mit China ausbauen, das schon jetzt 400 Milliarden Dollar Investitionen in Iran versprochen hat. Über all das ist die Nato bestens informiert. Es ist der Hintergrund für den Beschluß der 30 Nato-Verteidigungsminister, den Ausbildungseinsatz im Irak auszuweiten. Das könnte die Zahl der Nato-Truppen von derzeit 300 auf 4.000 steigern.

Gleichzeitig soll der Einsatz in Afghanistan, wo momentan noch 9.600 Soldaten (darunter 1.100 deutsche) stationiert sind und afghanische Sicherheitskräfte beraten und ausbilden, verlängert werden. Denn auch am Hindukusch versucht der Iran, seinen Einfluß auf die Taliban und andere Terrorgruppen auszuweiten.

Auch hier zaudert Amerika. Aber das ist der Unterschied zu Irak: Früher oder später muß man aus dieser Wetterecke der Weltpolitik abziehen. Das hat Trump gesehen.

Denn die Geschichte Afghanistans ist eine Geschichte der Eroberungen. Das liegt schlicht an der Geographie, der einzigen Konstante der Außenpolitik, wie Bismarck schon sagte. Wer die Höhen und Pässe des Hindukusch kontrolliert, der beherrscht auch die Land-Zugänge zu Indien und China und umgekehrt in Richtung Mittelost, Nahost und Europa.

Das sahen die Perser im 6. Jahrhundert vor Christus so, das war das Ziel Alexanders des Großen, der türkischen Seldschuken, der Mongolen unter Dschingis-Khan. Erst 1747 wird ein unabhängiges Königreich Afghanistan ausgerufen, Anfang des 20. Jahrhunderts werden sogar Reformen umgesetzt. Der Schleier für Frauen wird abgeschafft, für Jungen und Mädchen die Schulpflicht eingeführt, das Tragen europäischer Kleidung verordnet.

Das spätere Jahrhundert aber ist wechselhaft, die Russen kommen und gehen, die Taliban stürzen das Land in einen blutigen Bürgerkrieg, der Westen treibt die Taliban nach dem 11. September 2001 zurück in die Berge, jetzt steht er selber vor dem Abzug. Man kann das Land erobern, aber nicht besetzen. Dieser Erkenntnis Alexanders des Großen sollten sich auch die Amerikaner und Europäer beugen. Das schließt Aktionen gegen Terrorgruppen nicht aus. 

Anders die Lage im Irak. Das Land steht im Zentrum des ewigen Krieges zwischen Sunniten und Schiiten. Es gehört zu den Ländern mit den größten Ölreserven der Welt, und Öl wird noch Jahrzehnte der Schmierstoff der Weltwirtschaft sein.

Das ist ein Grund, warum Teheran den Griff auf den westlichen Nachbarn nicht lockern wird. Ein anderer ist: 60 Prozent der Bevölkerung sind Schiiten, im Irak liegen einige der größten Heiligtümer der Schiiten. Vor einigen Jahren wurden westlichen Medien mehr als 700 Geheimdokumente aus dem Iran zugespielt, die zeigten, wie sehr Teheran das irakische Regierungssystem unterwandert hat und über so ziemlich alle Pläne der Amerikaner im Zweistromland im Bilde war. 

Der Iran ist der größte Feind des Westens und der Nato im Vorderen Orient. Er liegt zwar zwischen Irak und Afghanistan, aber es wäre ein geostrategischer Fehler zu glauben, man könnte das Land in die Zange nehmen. Zu viele Völker, Religionen und Kulturen bewohnen diese Wiege der Menschheit.

Mehr Präsenz im Irak, weniger in Afghanistan – das muß die Devise sein. Der syrische Allianzwechsel wird einiges in Bewegung bringen. Am wichtigsten aber ist die militärische Eindämmung des Iran. Konkret: Die Mullarchie darf nicht in den Besitz der Nuklearwaffe kommen. Das wird Israel im Notfall zu verhindern wissen; es sollte aber auch das Ziel einiger Nato-Staaten sein, inklusive Deutschland.