© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Hohn, Steine, Scherben
Linksextremismus: Die Internetseite „Indymedia“ verbreitet Haß und Hetze, doch der Bundestag lehnt einen Verbotsantrag ab
Ronald Bberthold

Es ging alles ganz schnell. Aus einer Seitengasse der pittoresken Innenstadt von Schorndorf kamen am Samstag vergangener Woche 15 bis 20 Personen auf einen AfD-Infostand zugestürmt. Dabei verletzten die Angreifer den baden-württembergischen Landtagskandidaten Stephan Schwarz und einen 79jährigen Helfer, die dort für die Partei Wahlkampfmaterial verteilten. Die Gruppe konnte „aufgrund der mitgeführten Fahnen und Spruchbänder der Antifa-Szene“ zugeordnet werden, teilte die Polizei mit. „Sie kamen um die Ecke gebogen, schrien irgendwas und stürmten auf unseren Stand zu“, schilderte der ebenfalls anwesende AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun später der JUNGEN FREIHEIT den Übergriff. Sein Parteifreund Schwarz sei durch die Angreifer zu Boden gerissen und geschlagen worden. Der 36jährige wurde mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.

Die Gewalttäter stellten noch am selben Tag in einem Selbstbezichtigungsschreiben ihren „Besuch“ des AfD-Stands in Schorndorf in einen Zusammenhang mit dem Attentat in Hanau vor einem Jahr. Man habe dadurch klargemacht, „daß rechte Hetze nicht geduldet und mit unserem Protest konfrontiert wird“. Es sei erschreckend, „wie sehr sich das nihilistische Mantra von der ‘freien Meinungsäußerung’ in den öffentlichen Diskurs eingebrannt“ habe. Es gebe „kein Recht auf rechte Propaganda“, schrieben sie auf der Internetseite „de.indymedia.org“. 

Sie ist die wichtigste Plattform, um zu Gewalt gegen Andersdenkende aufzurufen. Dort bekennen sich Linksextremisten oft zu Anschlägen auf Menschen, die in ihren Augen „Nazis“ sind – unter anderem der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD). Er und sein Kind waren im Auto Opfer einer Steinattacke von Autonomen geworden.

Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte die AfD im Bundestag gefordert, den Trägerverein der Seite zu verbieten. Nicht nur ihre Mitglieder, auch Unions-Politiker sind immer wieder Zielscheibe von Indymedia-„Aktivisten“. Erst Anfang Februar hatte Berlins CDU-Chef Kai Wegner noch verlangt, der „Hetzseite“ den „Stecker zu ziehen“. Der 48jährige hatte sich darüber erregt, daß sein Parteifreund, der Kreuzberger Vorsitzende Kurt Wansner, dort für tot erklärt worden war. Wegner vor drei Wochen: „Das Maß ist voll!“

Schwierig, die Täter zu identifizieren

Der rot-rot-grünen Berliner Koalition warf er im Zusammenhang mit der Plattform vor, „extremistische Tendenzen“ im linken Milieu bewußt zu ignorieren. Das gefährde die Demokratie. Die „Banalisierung der linken Szene vor allem in Berlin durch Personen der Senatsparteien“ habe Ausmaße angenommen, die nicht zu tolerieren seien. Seit 16 Jahren sitzt der CDU-Politiker im Bundestag. Als es dort nun um die Umsetzung seiner Forderung ging, stimmte seine Partei nicht dafür, den linksextremen Verein zu verbieten. Von Wegner und der Hauptstadt-CDU war keinerlei Widerspruch gegen das Abstimmungsverhalten zu vernehmen.

Die AfD steht mit ihrer Kritik an Indymedia nicht allein. Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes hatte Behördenchef Thomas Haldenwang (CDU) darauf hingewiesen, daß nach dem Verbot des linksextremen Szeneportals „Linksunten.Indymedia“ nun auf der Hauptseite „de.indymedia.org“ verfassungsfeindliche Inhalte geteilt werden. Der frühere Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte „Linksunten“ 2017 verboten.

Der Geheimdienstchef erklärte den Verein daher zum „Verdachtsfall“. Der Nachfolger von Hans-Georg Maaßen teilte auch mit, daß der Verfassungsschutz mit 6.400 fast 40 Prozent mehr linksextrem motivierte Straftaten als im Jahr zuvor registriert hatte. Zu nicht wenigen davon wurde auf Indymedia aufgerufen. Linksextremisten hatten laut Haldenwang in nur einem Jahr Sachschäden in dreistelliger Millionenhöhe verursacht.

Hauptaktionsfelder sind dabei Berlin und Leipzig. Derzeit macht die Szene wieder rund um die Rigaer Straße 94 in der Hauptstadt mobil. Auf Indymedia ruft sie den „Tag X“ aus: Man kenne „nur eine Antwort“, heißt es dort drohend: „Widerstand auf der Straße“. Die Polizei rechnet mit Ausschreitungen. Grund sind Gerichtsurteile zugunsten des Eigentümers des besetzten Hauses. Vor einem Jahr hatte Indymedia einen noch unverblümteren Gewaltaufruf verbreitet: „Wir suchen die direkte Konfrontation“, hieß es da. Und: „Alle nach Leipzig: Bullen angreifen!“ Die Antifa wollte sich in der sächsischen Metropole dafür „rächen“, daß der Indymedia-Ableger „Linksunten“ abgeschaltet wurde. Zahlreiche Polizisten wurden verletzt.

Hintergrund: Selbsternannte Medienaktivisten und Journalisten hatten „Indymedia“ 1999 anläßlich der Proteste gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle gegründet. Die deutsche Seite ging zwei Jahre später online. 2008 kam „Linksunten.indymedia.org“ dazu. Bei beiden handelt sich um sogenannte Open-Posting-Seiten. Diese ermöglichen es jedem Nutzer, anonym und ohne Speicherung der IP-Adresse Texte zu veröffentlichen. Das macht die Identifizierung von Straftätern sehr schwierig. So gut wie nie können die Behörden die Urheber von Gewaltaufrufen oder Bekennerschreiben dingfest machen.

Die Begründung, mit der das Bundes-innenministerium seinerzeit „Linksunten“ im Rahmen des Vereinsverbots vom Netz nahm, scheint an Aktualität nichts verloren zu haben. Damals betonte de Maizière, die Seite werde „insbesondere von gewaltorientierten Linksextremisten genutzt, um dort fortlaufend öffentlich zur Begehung von Straftaten aufzufordern, zu ihnen anzuleiten oder die Begehung von Straftaten zu billigen“. Der Politiker beklagte „Gewaltaufrufe gegen Polizeibeamte sowie Anleitungen zum Bau von zeitverzögerten Brandsätzen und die Aufforderung, diese auch zur Begehung von Straftaten zu verwenden“. Das Betreiberteam lösche solche Beiträge nicht.

Die AfD argumentiert heute nicht viel anders. Die Fraktion meint, daß das damalige Verbot „insbesondere im Blick auf die viele Jahre lang verbreiteten Gewaltaufrufe“ eine „dringend erforderliche, längst überfällige Maßnahme gegen die Bedrohung der öffentlichen Ordnung durch gewaltbereite Linksextremisten“ gewesen sei. Die Bedrohung durch linksextreme Aufrufe zu Straf- und Gewalttaten bleibe jedoch akut. Denn diese finden nun, so die Abgeordneten, ihren Platz auf der Seite von Indymedia.

Doch bereits der Innenausschuß hatte mit den Stimmen aller Fraktionen außer der AfD empfohlen, gegen den Verbotsantrag, der diese Woche in abschließender Beratung auf der Tagesordnung stand, zu stimmen. Die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch (AfD) kritisierte diese Verweigerungshaltung. Sie hoffe darauf, daß die CDU ähnlich wie beim Verbot der Hisbollah den AfD-Antrag kopiere und erneut einbringe, sagte sie der jungen freiheit.