© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ein Skandal, der keiner ist
Christian Vollradt

Anders als die räumliche Nähe zum Kanzleramt oder auch ihr Name nahelegen, ist die Bundespressekonferenz (BPK) keine staatliche Behörde oder Einrichtung. Sie ist ein eingetragener Verein von derzeit rund 900 Hauptstadtjournalisten. Sie laden Politiker und – dreimal die Woche – die Sprecher von Bundesregierung und -ministerien ein, um sie zu befragen; moderiert von Mitgliedern des Vereinsvorstands – und nicht von den Regierenden. Einmalig in der Welt ist diese Einrichtung, und man blickt nicht ohne Stolz auf eine über 70jährige Tradition (JF 2/20). 

Vergangene Woche nun geriet die BPK selbst in die Schlagzeilen, nicht mit großer Politik, sondern eher mit einer Art Zickenkrieg. Sowohl unter Ministeriumssprechern als auch Kollegen rege sich Kritik an zwei Mitgliedern, die – so der Vorwurf – die Pressekonferenzen als Bühne für ihre Selbstdarstellung nutzten. Von „Desinformation“ über „Fake News“ bis zum „Kapern“ der BPK wurde der Unmut in einem umfangreichen Beitrag der Süddeutschen Zeitung hochgejazzt. 

Ziel der Anwürfe: der Blogger und frühere Focus-Journalist Boris Reitschuster (gelegentlicher Gastautor der JUNGEN FREIHEIT) sowie der Online-Chef des staatlich-russischen Auslandssenders RT, Florian Warweg. Beide würden Aussagen verkürzt aus dem Zusammenhang reißen, die Sprecher dadurch vorführen und mit Unterstellungen statt Fragen arbeiten. Ihrer langatmigen Co-Referate wegen würden viele Korrespondenten die BPK mittlerweile meiden. 

Kaum überraschend, daß die beiden Betroffenen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlen. Allerdings ist der Vorgang keineswegs so präzedenzlos, wie man meinen könnte. Interne Kritik an „Selbstdarstellern“ gab es schon früher. Zielscheibe unter anderem ein prominenter Chefkorrespondent des Redaktionsnetzerks Deutschland. Und 2013 zogen beispielsweise zwei Spiegel-Redakteure den Zorn der Zunft auf sich, als sie unter Bruch der Vertraulichkeitsregel aus einem Gespräch mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichts zitierten. Sie kassierten eine Rüge des Vereins. Auch daß die BPK dem kremlnahen RT eine Bühne für Propaganda böte, erhitzte die Gemüter schon auf früheren Mitgliederversammlungen. Doch solange keine Regeln verletzt werden, ist es Sache der Leser und Zuschauer, die Themenauswahl der Medien zu bewerten. Da mag Florian Warweg, einst im Bezirksvorstand der Partei „Die Linke“ in Neukölln, halt nachbohren, warum Angela Merkel immer noch nicht „das im Bundeskanzleramt hängende Porträt von Hans Globke, verurteilter NS-Verbrecher“ verbannen ließ … 

Der von der Süddeutschen nun zur Bewertung journalistischer Arbeit herangezogene Blogger Tilo Jung sorgte einst selbst mit seinen Videos von stammelnden Ministeriumssprechern für interne Diskussionen. Daß die BPK manchem nicht mehr so attraktiv erscheint, erklärte ein Süddeutsche-Korrespondent vor Jahren noch so: Sie diene den Regierungssprechern längst nicht mehr dazu, „wirklich Auskunft zu geben, sondern eher dazu, unangenehme Themen möglichst wegzureden – eigentlich mehr wegzuschweigen“.