© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Hippokrates mit Einschränkungen
Vorwurf der Diskriminierung: Ein Arzt in Baden-Württemberg möchte eine Patientin nicht länger behandeln, weil sie für die AfD kandidiert
Lukas Steinwandter

In der Politik wird mitunter mit harten Bandagen gekämpft. Der politische Streit endet in einer Demokratie aber eigentlich dort, wo die eingesetzten Mittel die vom Gesetz vorgesehenen Bahnen überschreiten. Oder wenn es um die Gesundheit geht – sollte man meinen. Doch der Fall einer AfD-Bundestagskandidatin in Baden-Württemberg läßt daran Zweifel aufkommen. Andrea Zürcher wurde vor zwei Wochen zur Wahlkreiskandidatin für Waldshut und Breisgau-Hochschwarzwald nominiert. Die 37jährige ist seit 2016 in der Partei, stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands Konstanz und arbeitet unter anderem für die AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel.

Die gelernte Kauffrau leidet an einer chronischen Krankheit und muß deshalb regelmäßig zum Arzt. Seit einem Jahr habe sie einen Hausarztvertrag bei einer Gemeinschaftspraxis in Stühlingen. Nun habe der Arzt ihr bei ihrem jüngsten Besuch unvermittelt den Vertrag gekündigt. Der Grund: ihre politische Meinung.

Aus der Zeitung habe er erfahren, so schildert es Zürcher, daß seine Patientin für die AfD kandidiere. „Er meinte, das Vertrauensverhältnis sei dadurch zerstört und er könne bei meiner Behandlung nicht mehr 100 Prozent geben.“ Nur in medizinischen Notfällen werde er eingreifen, ansonsten solle sie sich einen anderen Hausarzt suchen.

„Ich war noch nie in meinem Leben so sehr geschockt. Mir sind die Tränen gekommen“, schildert Zürcher der JUNGEN FREIHEIT. Sie habe sich bisher nie vorstellen können, daß es so etwas in Deutschland gebe. Eine Anfrage der JF beim betreffenden Mediziner ergab nichts. „Kein Kommentar“, hieß es am Telefon. Zürcher erstattete unterdessen Anzeige wegen Diskriminierung. Laut Grundgesetz darf in Deutschland niemand aufgrund seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden. 

Daß ein Arzt den Vertrag mit einem Patienten kündigt, ist ungewöhnlich. Denn Hausärzte sowie die Krankenkassen profitieren von solchen Vereinbarungen. Laut Gesetz besteht eine Behandlungspflicht für Ärzte nur in Fällen akuter Behandlungsbedürftigkeit. Der Vertragsarzt darf die Behandlung eines Versicherten ablehnen – „in begründeten Fällen“. 

Den konkreten Fall „können und wollen wir nicht bewerten“, teilte ein Sprecher des Bundesverbands der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) auf Anfrage der JF mit. Auch „zur Häufigkeit ähnlich gelagerter Fälle“, in denen ein Arzt aus politischen Gründen eine Behandlung verweigerte, lägen „keinerlei Erkenntnisse“ vor.