© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

Globale Weichenstellung Richtung totaler Überwachungsstaat
Düsterer als von Orwell ausgemalt
(dg)

Der zeitgenössische Kapitalismus verlangt in China ebenso wie im Westen die Auflösung traditioneller Gemeinschaften und Lebensweisen.“ Die daraus resultierende Anomie, so folgert der britische Philosoph und Ideenhistoriker John Gray (London School of Economics), erzeuge einen Zustand von sozialer Unordnung, der nur durch technologisch perfektionierte Überwachung eingedämmt werden könne. Zugleich würden die mit den neuen Medien eingeführten Überwachungsmethoden dazu genutzt, Menschen die Verhaltensweisen und Einstellungen einzuschärfen, die von einer „progressiven Konzeption der Staatsbürgerschaft“ zu fordern seien. Im kommunistischen China übe der Staat mittels seines „Sozialkreditsystems“, das kleinste Normabweichungen digital erfaßt und sanktioniert, bereits eine totalitäre Kontrolle über die Bevölkerung aus. Im Westen beginne die „Zivilgesellgesellschaft“, Unternehmen, Hochschulen, Medien, damit, diese umerziehende Aufseher-Rolle auszuüben und wie in China auch auf die „Transformation der menschlichen Psyche“ zu zielen. Alle Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, vom Professor bis zum Lokalpolitiker, seien daher der Gefahr ausgesetzt, ihre Existenz zu verlieren, wenn sie „gegen vermeintlich progressive Normen“ verstoßen. Dieser kulturelle Rückschritt lasse sich nicht einmal in George Orwells „1984“ erahnen. In Ost und West realisierten sich nun die „illiberalen Werte“ der Aufklärung, nachdem sie unter der Parole „Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums“ weltweit funktionierende Gemeinschaften aufgelöst hat, ohne Gleichwertiges an ihre Stelle zu setzen (Philosophie Magazin, Sonderausgabe Impulse für 2021). 

 www.philomag.de