© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

„Klein, traulich, aber freundlich“
Produktive Schaffenszeit: Vier Jahre waren das Künstlerpaar Clara und Robert Schumann in Leipzig zu Hause
Paul Leonhard

Die Dielen sind original und knarren, als würde das Holz eine eigene Melodie komponieren wollen, je nach Schwere und Schritttempo des Besuchers. Gregor Nowak ist darüber glücklich, weil „man das Authentische wirklich spürt“. Nowak ist Leiter des kleinen Museums, das Clara und Robert Schumann gewidmet ist und das sich in den ehemaligen Wohn- und Arbeitsräumen des Künstlerehepaars im ersten Stock eines klassizistischen Miethauses an der Inselstraße in Leipzig befindet.

Im Juli 1840 dürfte noch nichts geknarrt haben, als Clara Wieck und Robert Schumann – zu diesem Zeitpunkt noch unverheiratet – hier einzogen und sich „klein, traulich, aber freundlich“ einrichteten, wie die damals schon bekannte Pianistin notiert. Die vier Leipziger Jahre sollten eine für das Paar glückliche und schaffensreiche Zeit werden.

Heute sind Besucher eingeladen, durch die Räume zu streifen und ein Gefühl zu bekommen, wie es seinerzeit im Hause der Schumanns zuging. Speziell der Salon im ersten Stock entwickelte sich zu einem Mittelpunkt des Musiklebens. Felix Mendelssohn Bartholdy, Hector Berlioz, Richard Wagner, Hans Christian Andersen und Franz Liszt waren regelmäßige Besucher. Zeitgenössische Musik und die neuesten Werke der beiden Gastgeber wurden gespielt.

Ehetagebuch im wöchentlichen Wechel 

An diese Tradition knüpft das kleine Museum an, indem es der ebenfalls im Haus untergebrachten Freien Grundschule „Clara Schumann“ einen Teil seiner Räume zum Probieren und Experimentieren zur Verfügung stellt. So wird jener Geist am Leben gehalten, den Clara und Robert Schumann hier einst entfacht haben.

Die Misere, daß auch das Leipziger Schumann-Haus wegen der Pandemiebestimmungen seine Türen geschlossen halten muß, versucht das Museum dadurch auszugleichen, daß es potentiellen Besuchern gegenwärtig mit einem virtuellen Spaziergang Appetit auf einen künftigen Besuch macht. Zuvor empfiehlt es sich aber, die ebenfalls auf der Museumsseite abspielbaren Audioguides zu hören, um nicht allzu hilflos per Mausklick durch die Räume zu irren.

Normalerweise betritt der Besucher das Gebäude durch die Kutscheneinfahrt und wird gleich zu Beginn auf einer großen Wandtafel über das Leben der beiden Künstler vor ihrer Eheschließung informiert. Der virtuelle Rundgang beginnt dagegen gleich im Foyer. Hier liegt auch eine Kopie des „Ehetagebuches“ aus, in dem die Eheleute im wöchentlichen Wechsel persönliche, gesellschaftliche und kulturelle Erlebnisse aufschrieben – ein „Tagebuch über alles, was uns gemeinsam berührt“, so Robert Schumann am Tag nach der Hochzeit.

Betritt der Besucher den Salon und berührt per Klick den Flügel, so erklingen Clara Schumanns anmutige Drei Romanzen für Violine und Klavier. Diese komponierte sie zwar erst 1853 und damit lange nach ihrer Leipziger Zeit, aber das stört nicht den Musikgenuß. Für diesen sorgen Adriana Zarzuela (Violine) und Anil Büyükikiz (Piano), deren Auftritt per Videoclip zu erleben ist.

An der Wand sind zeitgenössische Reliefmalereien zu erkennen, die Restauratoren mühselig unter Schichten von Tapeten freigelegt haben. Auch der reich verzierte Kachelofen ist ein Original. Etwas über die Beziehung zwischen dem Ehepaar erzählt das von dem Bildhauer Ernst Rietschel geschaffene Doppelmedaillon an der Wand. Dieser wollte ursprünglich Clara Schumann in den Vordergrund setzen, aber ihr Mann intervenierte: Das Schaffen des Komponisten sei wichtiger als das des Interpreten.

Privates Vorspiel vor der Zarenfamilie

Irgendwie scheinen Robert Schumann seine junge Frau, das Leipziger Haus und dessen Umgebung zu Höchstleistungen inspiriert zu haben. Im ersten Jahr entsteht etwa die Hälfte seines gesamten Liedschaffens, darunter der Liederkreis op. 39 und die Dichterliebe op. 48. Im zweiten Jahr komponiert er seine Frühlingssinfonie, die ein großer Publikums-erfolg wird, und die Sinfonie in d-Moll. 1842 wird dann zum „Kammermusik-jahr“. Zwischen Juni und Dezember komponiert Schumann die drei Streichquartette op., das Klavierquintett Es-Dur op. 44, das Klavierquartett op. 47 und die Phantasiestücke op. 88 für Klavier, Violine und Violoncello. 1843 komponiert er schließlich „Das Paradies“ und die Peri op. 50.

Clara Schumann fühlt sich dagegen eingesperrt: „Jeder fragt, ob ich nicht reise – ich komme ganz in Vergessenheit.“ Letztlich führen Geldsorgen dazu, daß es nach einer Konzertreise 1842 nach Dänemark im Januar 1844 doch eine große Tournee gibt. Über viele Stationen geht es nach Sankt Petersburg, wo die Pianistin private Konzerte gibt und wachsende Erfolge verbucht.

Höhepunkt ist ein Vorspiel vor der Zarenfamilie, was für Robert Schumann der absolute Tiefpunkt ist, denn er, der ohnehin nur heimwill, um zu komponieren, darf nicht dabei sein. „Kränkungen, die kaum zu ertragen waren“, schreibt er. Sie dagegen hält fest: „…ich weiß von nichts, es scheint mir aber jetzt, bei Durchlesen der Notenblätter, daß ich oft Roberts Unwillen erregt habe – in böser Absicht gewiß nie …“ Finanziell ist die Reise ein Erfolg. 6.000 Taler nimmt Clara Schumann ein.

An diese Konzertreisen erinnert ein ganzer Raum, der eine wandfüllende Karte mit den Orten der Auftritte zeigt, die damaligen Transportmittel – die traditionelle Kutsche oder die hochmoderne und bei vielen noch gefürchtete Eisenbahn – und einen üblichen Schrankkoffer. Ein einziger Satz im Reisekabinett faßt diese Episode zusammen: „Was sie erfüllt, macht ihn krank.“

Als sich 1844 Robert Schumanns Hoffnung zerschlägt, Nachfolger von Mendelssohn Bartholdy am Gewandhaus zu werden, entscheidet sich das Ehepaar, nach Dresden zu gehen. Die Leipziger Zeit ist damit zu Ende, der Rundgang durch die Ausstellung nicht. Zu ihren Attraktionen gehört exakt dort, wo sich einst Schlaf-, Wohn- und Kinderzimmer befanden, ein Klangraum voller Gebrauchsgegenstände. Alle sind an der Decke befestigt, eine Dampfpfeife, eine Glühbirne, ein Morsegerät, eine Uhr, diverse Haushaltsgeräte. Tritt der Besucher unter einen Gegenstand, erklingt ein für diesen typisches Geräusch oder eine Melodie. Es ist eine Einladung zum Komponieren, aber dazu muß man dann schon leibhaftig vor Ort sein.

 www.schumannhaus.de